Lügen & Liebhaber
entscheidend? Oder weil ich mir selbst beweisen mußte, daß ich alles, was ich anpackte, auch mit Bravour meisterte? Ein unschöner Abgang – ich hatte das Drehbuch einfach auf den Boden gepfeffert und war rausgerannt –, aber ganz und gar passend zu der ebenso unschönen Szene, die Messerschmidt mir gemacht hatte. Wer ließ sich schon gern als untalentierte Zicke bezeichnen? Als hirnlose Möchtegern-Akademikerin?
»Das lasse ich mir nicht bieten!« hatte ich gebrüllt und war nach draußen gestürmt.
Jetzt, da ich auf dem Klodeckel hockte und meine Tränen zusammenmit der Wimperntusche und dem Make-up zu einer häßlichen Schmiere verliefen, kam mir in den Sinn, daß ich mich ziemlich unprofessionell, um nicht zu sagen kleinmädchenhaft verhalten hatte. Wahrscheinlich lachte Messerschmidt sich gerade halbtot. Haha, Sylvie läßt es sich nicht bieten und heult der Kloschüssel einen vor! Eine souveräne Reaktion wäre die sofortige Kündigung gewesen, aber das konnte ich mir nicht leisten. Also warf ich den letzten Fetzen tränennasses Klopapier in das Klosettbecken, zog ab und brachte mein Gesicht vor dem Spiegel weitestgehend in Ordnung.
Messerschmidt kann dich mal, dachte ich, während ich zurück ins Studio ging. Und wenn er dich jetzt feuert, machst du auch kein Theater drum.
»Hat sich die Prinzessin wieder beruhigt?«
Zwei Augenpaare richteten sich gleichzeitig auf mich.
»Hat sich der Oberbefehlshaber wieder beruhigt?« konterte ich. Messerschmidt lachte, und so war das Eis gebrochen. Zwar verliebte ich mich nicht gerade in meinen Meister, aber immerhin konnten wir zügig und ohne große Reibereien weiterarbeiten.
Punkt sieben fand ich mich im »Schwarzen Raben« ein, war aufgeregt wie ein Kind am ersten Schultag. Oskar hatte Glück. Er verspätete sich lediglich um zehn Minuten, was ich ihm wegen seines Fremde-Stadt-Bonus noch mal verzieh.
»Hi«, sagte er und ließ seinen Bück durch den Saal mit den ufoartigen Lampen schweifen. »Nicht übel. Wirklich nicht übel.«
Dann schaute er mich an. Mir war nicht ganz klar, ob er das Lokal oder vielleicht doch mich meinte. Also grinste ich etwas verlegen zu ihm hoch und deutete auf den Platz an meiner Seite.
Oskar hatte sich wieder mal unglaublich aufgestylt. Er trug eine hellgraue Hose aus einem feingemusterten Baumwollstoff, die nur bis zu den Knöcheln reichte, dazu einen dunkelgrauen Strickpulli mit kurzen Ärmeln; über seiner Schulter baumelte ein farblich passender Stoffrucksack.
Ich konnte nicht umhin: Jedesmal wenn ich Oskar sah, hatte ich den Eindruck, er wäre gerade auf dem Weg zu seinem Lover.
»Das muß man dir lassen«, sagte Oskar, während er sich setzte.
»Du hast immer schöne Schuhe an.«
Ach ja? Das mußte man mir lassen? Hieß das soviel wie: Sonst bist du nicht gerade der Hit?
Das war vorerst so gut wie alles, was wir an Konversation zustande brachten. Oskar bestellte auf unglaublich komplizierte Weise seinen Martini – das heißt, er orderte zunächst einen Martini, wollte dann doch lieber Rotwein, schließlich Kaffee, und zu guter Letzt rannte er der Bedienung noch hinterher, um wieder auf Martini umzubestellen. Kaum hatte er sein Werk vollbracht, beäugte er unentwegt das Publikum, während er Platitüden wie »Das Wetter ist wirklich grandios in Berlin« oder »Überall dieser Baustellenlärm, da wird man ja wahnsinnig!« vom Stapel ließ. Keine Ahnung, ob Oskar unsere Unterhaltung auch als so zäh empfand, aber je länger wir zusammensaßen, desto mehr kam mir der Verdacht, daß wir wie schon zu Schulzeiten einfach keine gemeinsamen Themen hatten.
Was sein Treffen mit dem Ostberliner Designer Karl-Heinz Sowieso betraf, hielt Oskar sich bedeckt – er wußte nur zu gut, daß es mich nicht besonders interessierte –, und ich schwieg mich bezüglich meiner fiktiven Recherchen für meine Doktorarbeit ebenfalls aus. Außerdem hatte Oskar mich auch nicht danach gefragt. Genausowenig erkundigte er sich danach, wo ich denn wohnte. Also konnte ich sie diesmal für mich behalten – all meine kunstvoll zurechtgebastelten Lügen. Statt dessen versuchte ich zu ergründen, wozu ich Oskar eigentlich brauchte. Als Lover? Als guten Freund? Was war mit dem Mann fürs Leben? Ich sah ihn von der Seite an. Wenn er redete, gefiel er mir nicht mal besonders. Er hatte so eine merkwürdige Art, seine Unterlippe vorzuschieben. Und dann, was er sagte. Mehr oder weniger uninteressantes Zeugs, Gemeinplätze … Eigentlich lauter
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