Lügen & Liebhaber
Argusaugen jede ihrer Bewegungen registrierte, und erst wenn eine Vorauswahl getroffen war, schlug Oskar zu. Umschmeicheln lautete seine Devise. Dafür hatte er sich eine ganz spezielle Taktik ausgedacht. Egal ob der Kunde etwas Klassisches oder Verrücktes anprobierte, immer schwärmte Oskar, wie unglaublich intellektuell er aussehe, und vom Durchschnitts-Homo bis zum biederen Geschäftsmann fiel so gut wie jeder darauf rein.
Ob ich das konnte? Jedem Langweiler das Intellektuellenkompliment machen, nur damit er eine teure Klamotte kaufte? Vielleicht sollte ich noch einen Schritt weiter gehen und den Germanistentrick einführen. Ach, jetzt sehen Sie wirklich wie ein waschechter Hofmannsthal-Forscher aus! Aber als ich Oskar das vorschlug, drohte er mir, ich solle mich ja nicht über ihn lustig machen.
»Wie hast du eigentlich dein Examen geschafft?« fragte Oskar mich ein paar Stunden später, als ich immer noch nicht die gängigen Herrengrößen drauf hatte.
Ich grinste Oskar mitleidig an. Immerhin war ich meinen Träumen doch ein ganzes Stück näher gekommen als er, der Künstler, der seinen Lebensunterhalt mit einem Klamottenladen verdienen mußte. »Willst du mich feuern? Gut! Feuer mich doch!«
»Für den Anfang wärst du mir eine große Hilfe, wenn du die Pullover und Hemden wieder einsortiertest.« Er zeigte auf einen unordentlichen Haufen auf dem Tresen. »Wobei allerdings eine gewisse Akribie vonnöten ist …«
Wobei allerdings eine gewisse Akribie vonnöten ist . Wenn Oskar nicht aufpaßte, würde er sich noch ganz in einem der vergangenen Jahrhunderte verheddern.
»Und wie soll das gehen mit der Akribie?«
Oskar zog eine Schablone unter dem Tresen hervor und demonstrierte mir, wie man mit Hilfe der Gerätschaft einen Pullover zusammenlegte. Ob ich dafür geeignet war? In meinem Kleiderschrank sah es immer aus wie Kraut und Rüben.
Ich nickte und schluckte trocken runter. Scheiße. Wie hatte ich nur je annehmen können, mit Ende Zwanzig habe die Jobberei endlich mal ein Ende?
*
Irgendwann in den nächsten Tagen überwies mir die Synchronfirma den ausstehenden Restbetrag, so daß ich zumindest meine Miete zahlen konnte. Doch das weitaus größere Problem war Toni. Die hatte nämlich ihre Chromo-Irgendwas-Untersuchung hinter sich gebracht. Mit dem Ergebnis, daß ihre Eileiter tatsächlich dicht waren. Also IVF. Also Hormonspritzen, Follikelpunktion, Embryotransfer – Dinge, die ich mir lieber nicht so genau ausmalte. Zum Glück redete Toni kaum mit mir darüber. Wahrscheinlich dachte sie sich auch, solange keine Resultate vorzuweisen sind, besser nicht zu viele Worte verlieren. Und dann ging auch die neue Spielzeit wieder los. Vier Aida-Vorstellungen standen für mich auf dem Plan, außerdem zweimal Carmen – mit den zu erwartenden Einnahmen würde sich kaum ein ausschweifendes Leben führen lassen. Zwar hatte ich mir seit geraumer Zeit vorgenommen, Neueinstudierungen einfach zu ignorieren, aber bei meiner finanziell katastrophalen Lage blieb mir wohl nichts anderes übrig, als mich wieder zur Verfügung zu stellen beziehungsweise darauf zu hoffen, eine der begehrten Rollen zu ergattern.
Die Audition für Die Liebe zu den drei Orangen fand an einem Samstagnachmittag statt. Es war einer dieser trügerisch heißen Spätsommertage, an denen die Luft schon nach Herbst roch. Ich war mit dem Fahrrad gefahren, ganz gemütlich an der Alster entlanggeradelt, doch noch bevor ich an der Oper ankam, hatte ich leider Gottes Schwitzflecken in meinem T-Shirt.
Als ich mich kurz darauf bückte, um das Fahrrad vor der Probebühne anzuketten, umfaßten mich auf einmal zwei Arme. Ich tippte auf Konstantin. Wer sonst war so distanzlos? Ohne mich umzudrehen, hantierte ich in aller Seelenruhe weiter am Schloß. Und ich hatte richtig gerechnet: Kein Mensch stand auf Spielverderber. Die Krakenarme ließen los, und noch während ich mich umdrehte, sagte ich mit allem mir zur Verfügung stehenden Charme: »Hallo, Konstantin!«
Konstantin schaute etwas verdutzt, berappelte sich dann aber und schenkte mir ein schleimiges Lächeln.
»Wie war deine Sommerpause? Schön weggefahren? Und bist du noch mit deinem Freund zusammen?«
Statt zu antworten, konterte ich mit haargenau denselben Fragen.
»Hör mal, ich bin nicht schwul.« Er kicherte. »Weg war ich auch nicht. In vierzehn Tagen geht’s mit meiner Praxis los.«
»Dann darf die Opernwelt hoffen, daß du ihr künftig erspart bleibst?«
»Sei nicht immer so …« Er
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