Lügen & Liebhaber
unterbrach sich und schaute zu Boden.
»Wie bin ich denn?«
»Wie ein Stück Dreck behandelst du mich.«
Noch nie hatte ich Konstantin so ganz und gar geknickt gesehen. Ich nahm den Korb mit meinen Trainingssachen vom Lenkrad und marschierte zum Eingang. Konstantin immer dicht an meinen Fersen.
»Was hab ich dir eigentlich getan?«
»Mir nicht, aber Tim.«
»Sylvie, das ist Urzeiten her!«
Zum Glück kam Katrin und gleich darauf der Fahrstuhl, so daß ich mich nicht weiter mit Konstantins seelischem Zustand beschäftigen mußte. Sowieso – Katrin liebte belanglose Konversation und nahm mir den aufdringlichsten Menschen unter der Sonne ab. Oben bog ich sofort links ab Richtung Toilette, um mich dort immer wieder laut seufzend umzuziehen.
Der Alltag hatte mich also wieder. Abgesehen davon, daß ichnicht mehr zur Uni mußte, war doch alles wie immer. Die ewig gleichen Gesichter an der Oper, wir würden ein bißchen Spaß haben, gratis Gesangskunst vom Feinsten hören und am Ende des Monats viel zu wenig Geld auf dem Konto haben.
Regie führte diesmal eine Frau, Anna Basile. Sehr jung und selbst in Fachkreisen noch ein No name. Sie machte einen sympathischen Eindruck; vermutlich gehörte sie nicht zu der Sorte Regisseure, für die man bloßes Menschenmaterial war.
Nach einer kurzen Aufwärmphase teilte sie uns in gleichgeschlechtliche Zweiergruppen ein. Mir gedachte sie Sophie zu. Das war ungünstig, da diese in ihrer tänzerischen Unfähigkeit beinahe Konstantin Konkurrenz machte. Und wenn meine Partnerin nicht tanzen konnte, würde das möglicherweise auch auf mich zurückfallen.
Am Anfang war alles noch ein Kinderspiel. Hand in Hand einmal über die Querseite der Bühne gehen, lautete die Anordnung, das gleiche dann in den Gangarten Laufen, Schreiten und Hopsen. Zum Glück schaffte Sophie das gerade noch. Zwar sah ich aus dem Augenwinkel ihr einfältiges Grinsen, aber das sollte nicht mein Problem sein.
Um sich Gehör zu verschaffen, klatschte die Regisseurin synkopisch in die Hände. »Walzer bitte!«
Sophie und Walzer tanzen, dachte ich nur, und schaute in ihr plötzlich fahles Gesicht. Ich wußte, sie hätte alles darum gegeben, tanzen zu können, aber so sehr sie sich auch anstrengte, es haute einfach nicht hin.
»Keine Angst«, flüsterte ich ihr zu und wollte damit eigentlich mehr mir selbst Mut zusprechen. »Ich übernehme den Männerpart.«
Sophie nickte, bohrte ihre Finger in meine Taille und gab sich dann voller Inbrunst ihrer Unmusikalität hin. Okay, wahrscheinlich war die Audition für mich gelaufen. Zu allem Überfluß sah ich, wie Konstantin von Stanislaw herumgewirbelt wurde und dabei nicht mal eine schlechte Figur machte.
Doch die Fleischbeschau hatte noch kein Ende. Es folgte eine pantomimische Übung, bei der jeder von uns seine solistischenFähigkeiten unter Beweis stellen mußte. So weit – so gut, aber Pantomime lag mir in etwa wie Sophie der Walzer. Nicht daß ich keine Phantasie hatte, aber ich kam mir einfach albern vor, als Orange über die Bühne zu rollen, wie es die Regisseurin in diesem Fall verlangte. Erst als wir zum Abschluß eine Tour piqué einmal diagonal über die Bühne drehen durften, blühte ich auf und hoffte, wenigstens damit noch etwas rausreißen zu können.
Ende der Veranstaltung. Die Regisseurin tuschelte mit der Abendspielleiterin Beatrice, die kurz darauf in die Runde rief: »Frau Basile wird jetzt die zwölf Kandidatinnen und Kandidaten auswählen. Sie möchte möglichst junge Gesichter haben.«
Mein Herz klopfte auf einmal viel zu schnell, was einer albernen Veranstaltung wie einer Audition nun wirklich nicht angemessen war. Konstantin wurde nicht genommen, ha! Stanislaw und sein russischer Freund waren dabei, drei weitere Männer, schon kamen wir Frauen an die Reihe. Katrin war mit von der Partie, Elfi, Sophie, mein Kreislauf drohte wegzusacken, und dann ging Anna Basile einfach an mir vorbei, um sich das übernächste Mädchen, die völlig ausdruckslose Pia, zu schnappen.
Frechheit! Was hatte die Frau bloß für eine Vorstellung von Opernregie! Begabung plus die richtig eingesetzte Schminke waren in diesem Metier das eindeutig sichere Rezept. Kein Mensch sah aus dem dritten Rang, ob jemand zweiundzwanzig oder achtundzwanzig war! Aber bitte sehr! Sollte sie sich doch mit den Unbegabtesten aller Unbegabten herumschlagen.
*
Ich brauchte Karl. Ich gierte nach seiner emotionalen Wärme und bettelte förmlich um ein paar verbale
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