Lügen & Liebhaber
meine Straßenkleidung vom Vortag anhatte. Es dauerte ein Weilchen, bis ich mich an den Vorfall erinnerte.
Nicht nur ein unschöner Alptraum – leider. Aber vielleicht würde gleich die Tür aufgehen und Karl mit Grübchenlächeln und einem Frühstückstablett hereinkommen. Ich setzte mich auf die Bettkante und lauschte, aber kein Geräusch war von draußen zu hören. Nach zehn Minuten hielt ich es nicht mehr aus. Gerade als ich leise die Tür öffnete, platzte Karl mit Wind- und Wetterjacke in die Wohnung.
Mein erster Gedanke: Bestimmt war er Croissants holen und kredenzt uns gleich einen wunderbaren Milchkaffee. Doch ich hatte mich geirrt. Ohne mich zu beachten, ging Karl an sein Flurregal und holte einen beige braungemusterten Herrenknirps aus dem unteren Fach. Erstaunlich, daß Karl so ein scheußliches Ding besaß.
»Sieht nach Regen aus«, sagte er dann mit Blick auf die Rauhfasertapete. »Zieh einfach nur die Tür hinter dir zu.«
Schon hatte Karl wieder die Klinke in der Hand.
»Bitte … Können wir nicht zusammen fahren? Ich will doch noch zu Martha.«
Karl sah mich an, als könne er mich nicht ganz einordnen. Dann schüttelte er langsam den Kopf.
»Such dir lieber ein hübsches Museum aus.«
»Karl, du spinnst.«
»Und du packst jetzt deine Sachen und steigst in den nächsten Zug.«
Ein widerlich schleimiger Kloß blockierte meine Kehle. Mirwar auf einmal klar, daß Karl gleich etwas Fürchterliches sagen würde, ich wußte nur noch nicht, was.
»Ich hab saumäßig geschlafen, Karl! Mir ist kalt und übel und … Ich kann nicht mehr, verstehst du? Ich kann einfach nicht mehr!« Die Worte kamen im Stakkato aus meinem Mund, und manche Silben verschluckte ich auch. Nur irgendwie dachte ich, Hauptsache, du läßt ihn nicht zu Wort kommen.
Aber Karl trat auf mich zu, er packte mich an den Schultern und sagte im Kasernenton: »Ist gut jetzt, Sylvie. Und vor allem – schmink dir Synchron ab.«
Meine Stimme zitterte, als ich Karl fragte, wie er dazu käme, so etwas zu behaupten.
Abrupt ließ er mich los. »Du warst schlecht beim letzten Mal, sauschlecht, um ehrlich zu sein. Ganze Passagen mußten von einer Schauspielerin nachsynchronisiert werden! Keiner will dich mehr! Weder Martha noch Messerschmidt, noch …« Er zögerte einen Moment und wich meinem Blick aus. »Und ich am allerwenigsten.«
Im nächsten Moment war Karl draußen. Ich hörte nur das Knallen der Tür, eilige Schritte auf der Treppe, erst dann begriff ich, was er gerade von sich gegeben hatte. Es war merkwürdig, aber ich konnte nicht mal weinen. Eine ganze Kette überaus rationaler Überlegungen lief in meinem Kopf ab. Hatte Karl das nur gesagt, weil er so verletzt war, oder stimmte es tatsächlich? Aber wenn etwas dran war, warum hatte er mir denn vorgeschlagen, nach Berlin zu kommen, damit ich persönlich bei Martha vorbeischaute? Hatte er mich nur zu sich locken wollen? Aus purem Egoismus? Ich war fast versucht, Karls Wohnung zu demolieren, um ihm auf irgendeine Weise Schaden zuzufügen, aber dann fand ich es doch souveräner, erhobenen Hauptes zu gehen.
Als wäre überhaupt nichts weiter vorgefallen, duschte ich mit Karls teurem Roma-Duschgel, kochte mir danach einen Espresso und stellte, die Tasse später dreckig in die Spüle. Alles ganz normal. Kurz darauf legte ich Karl einen Zettel mit den Worten Vielen Dank für Deine Gastfreundschaft hin und ließ – wie miraufgetragen – einfach nur die Tür ins Schloß fallen. Das Amphibienbild hatte ich stehenlassen – absichtlich –, denn was sollte ich mit dem Geschenk eines Mannes, der mich so sehr gedemütigt hatte?
Ich wußte nicht, wann die Züge nach Hamburg gingen, aber als ich unten auf der Straße stand, kam mir der Gedanke, trotz Karls unverschämtem Auftritt zur Synchronfirma zu fahren. Wenn er sich alles nur ausgedacht hatte, gnade ihm Gott. War er aber ehrlich gewesen, hatte ich sowieso nichts mehr zu verlieren.
Unterwegs in der U-Bahn wurden meine Arme und Beine so bleischwer, daß ich mich kaum noch aufrecht halten konnte, und beim Umsteigen auf die U2 genehmigte ich mir zum ersten Mal in meinem Leben einen Flachmann. Peinlich, peinlich – aber dann war es mir egal, von den Leuten abschätzig begafft zu werden. Was wußten sie schon von mir und meinem gebrochenen Herzen? Sich ein bißchen Mut antrinken – das konnte nicht schaden. Zumal Martha eine toughe Frau war, verbal mit allen Wassern gewaschen.
Zum Glück saß sie gerade vorm Computer, als ich mit
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