Lügen & Liebhaber
darauf bestand, zur Eiergraphie, oder wie immer man das auch nannte, zu gehen.
»Was hat dein Arzt denn gesagt?« fragte ich, während ich mirunter leichtem Unwohlsein eine Gabel mit thailändischem Curryreis in den Mund schob.
»Er kann nichts tasten.«
»Na, fein.«
Oskar schaute drein wie ein geprügelter Junge.
»Aber wenn er sich täuscht! Ich mein, ich kenne doch meine …«
Oskar war zu vornehm, das Wort Eier auszusprechen, und ich dankte es ihm sehr. Immerhin war mir der Appetit sowieso schon vergangen.
»Wenn du dich unbedingt bestrahlen lassen willst, bitte sehr. Macht bestimmt Spaß, sich die … na, du weißt schon, auf Briefmarkenformat pressen zu lassen.«
Oskar verzog schmerzlich das Gesicht und schob seinen fast noch vollen Teller von sich.
»Vielleicht überlegst du es dir noch mal.« Ich grinste ihn an.
»Zu spät. Ich hab schon einen Termin beim Radiologen.«
Großartig. Somit konnte ich mir mein eigentliches Vorhaben wohl für heute abschminken. Aber wenn ich’s mir recht überlegte, war es nur gut so. Ich stand nicht besonders darauf, sandkorngroße Knubbel zu erfummeln.
Obwohl ich keinen großen Hunger mehr hatte, aß ich alles auf und erkundigte mich anstandshalber danach, wann die Untersuchung stattfinden würde.
»Erinnere mich nicht daran«, sagte Oskar, als ob er sich nicht selbst an das Thema erinnert hätte. Dann ließ er seinen Kopf auf die Tischplatte sausen, und während dieser dort ein Weilchen liegenblieb, meinte Oskar: »In drei Tagen. In genau drei Tagen. Morgens um zehn.«
In drei Tagen – das war Freitag –, und Donnerstag mußte ich nicht in den Laden. Glück gehabt.
Um Oskar auf andere Gedanken zu bringen, fragte ich ihn, wie es denn seiner Sonnenschein-Tochter gehe. Aber Oskar hob seinen Kopf nur kurz an, er schaute drein, als hätte irgend jemand gerade sein Todesurteil verkündet, dann vergrub er sein Gesicht in beiden Händen.
Mir wurde es langsam peinlich, wie Oskar sich aufführte. Manstarrte schon zu uns rüber, als passiere hier gleich etwas wirklich Sensationelles, aber bevor ich Oskar daran erinnern konnte, daß man im Restaurant normalerweise aufrecht am Tisch saß, kam einer der Thai-Kellner mit einem Tablett angelaufen, darauf waren ein Glas Wasser und eine Pille deponiert, und hielt es Oskar hin.
»Wenn Kopfschmerzen, gleich besser«, sagte er lächelnd und zeigte dabei ganz viel blaßrosa Zahnfleisch mit gelblichen, sehr akkurat angeordneten Zähnen.
Oskar lehnte mit einer forschen Handbewegung ab. Kaum war der Kellner außer Sichtweite, beugte er sich mit den Worten »Jetzt will man mich auch noch vergiften!« zu mir rüber.
»Er hat es nur gut gemeint!«
Oskar schaute mich erschrocken an. Einen derart schroffen Ton war er nicht von mir gewohnt. Es zuckte leicht um seine Mundwinkel, bitte, jetzt fang nicht auch noch an zu heulen, Karl und Skip hatten mir schon gereicht, aber bevor es dazu kommen konnte, griff Oskar nach seinem Mineralwasser mit extra wenig Kohlensäure und trank es in einem Zug aus. Dann angelte er ein Stück Brokkoli unter der Serviette auf seinem Teller hervor, und während er es in den Mund beförderte, sagte er: »Du willst wissen, wie es meiner Tochter geht? Das kann ich dir sagen. Beschissen. Sie hat seit drei Tagen Fieber.«
»Tut mir leid für die Kleine.« Insgeheim fragte ich mich, was denn so schrecklich daran war. Jedes Kind hatte mal Fieber.
Und als habe Oskar meine Gedanken gelesen, fuhr er fort: »Weißt du, es ist das zweite Mal in diesem Monat.«
»Ja und?«
»Meine Ex hält es ja nicht für nötig, das Mädchen mal zum Arzt zu schicken.« Er klang richtig verzweifelt. »Aber mit Leukämie ist nun mal nicht zu spaßen …«
»Oskar, du spinnst«, sagte ich und kramte nach meiner Geldbörse. »Aus jedem Pickel machst du eine lebensbedrohliche Krankheit!«
Oskar erwiderte nichts, aber die Stimmung war so oder so im Eimer. Wir zahlten kurz darauf, und als ich ganz automatischden Weg Richtung U-Bahn einschlug, fragte Oskar mich doch allen Ernstes, ob ich nicht noch mit zu ihm kommen wollte.
»Ich gehe jetzt besser nach Hause.«
Oskar sah mich regungslos an. In der künstlichen Nachtbeleuchtung hatte das Weiß seiner Augen einen milchigtrüben Farbton angenommen. Vielleicht war das auch der Vorbote des grünen Stars. Ich mußte lauthals lachen.
»Was ist?« fragte Oskar irritiert.
»Nichts.« Ich gab ihm ein Küßchen auf die Wange. »Schlaf gut.«
Kaum war ich ein paar Stufen nach unten gegangen,
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