Lügen & Liebhaber
einem unsicheren Lächeln ihr Büro betrat.
»Hallo, Martha!« flötete ich. »Über – ra – schung!«
Sie drehte nur kurz den Kopf, schien sich über mein plötzliches Auftauchen nicht besonders zu freuen.
»Wartest du kurz draußen?« bat sie, indem sie sofort wieder auf den Bildschirm starrte.
Abgeblitzt. In der Regel entschieden doch immer die ersten Sekunden. Voller Bangen lief ich ein paar Schritte auf dem Flur hin und her, steckte hin und wieder meine Nase in eine verstaubte Grünpflanze, die auch schon bessere Zeiten gesehen hatte. Und ich betete: Lieber Gott, auch wenn du mich in die Libidinosi-Hölle verfrachten wirst, bitte verhindere, daß Karl jetzt hier gleich auftaucht, laß mich einfach in Ruhe warten, und irgendwann wird …
»Sylvie!« unterbrach Martha meine Gedanken. Mit wackligen Beinen betrat ich ihr Zimmer. »Na, wie geht’s?« fragte sie rechtfreundlich, sortierte aber nebenher ein paar Zettel. »Bist du mal wieder in unserer schönen Stadt?«
Ich nickte und schöpfte Hoffnung.
»Was gibt’s denn? Karl ist gerade im Regieraum.«
Mist. Eigentlich hatte ich darauf spekuliert, daß sie, wenn sie mir schon nicht sofort ein Angebot machte, wenigstens von selbst drauf kommen würde.
»Wollte eigentlich nur fragen, ob mal wieder was ansteht …«
Ohne auch nur einen Blick in ihren Timer zu werfen, schüttelte sie den Kopf.
»Schade«, murmelte ich. Lieber hätte ich so etwas wie Kacke! gesagt.
Martha hob die Achseln und grinste, wobei sich ihre Nase krauste. Sie hatte wirklich häßliche Glubschaugen. Blau und wässerig, und die Augäpfel waren von vielen roten Äderchen durchzogen.
»Tja, bis zum Jahresende steht die Dispo. Tut mir leid.«
»Und danach?«
»Wir melden uns bei dir, falls wir was haben, okay?«
»Okay«, sagte ich und hoffte, daß ich nicht gleich losheulen mußte.
Martha schnupperte in die Luft. »Riecht irgendwie nach Alkohol hier.« Sie lachte. »Wahrscheinlich war’s die alte Schnapsdrossel Messerschmidt.« Schwungvoll drehte sie ihren Sessel Richtung Bildschirm und begann in die Tasten zu hacken.
Auf Nimmerwiedersehen. Mehr war zu dem Thema ja wohl nicht zu sagen.
*
Zu Hause machte ich reinen Tisch. Als erstes erzählte ich Toni in allen Details von meinem desaströsen Berlinaufenthalt. Netterweise hatte sie sogar ein wenig Mitleid mit mir. Sie wunderte sich nur darüber, daß zwei Freunde jeweils eine Affäre am Laufen hatten, sich davon erzählten, aber nie den Namen der Frau aussprachen. Da konnte ich ihr nur zustimmen.
Als zweites mußte ich die Sache mit Skip beenden. Schriftlich und ohne Angabe von Gründen. Ich hätte auch keine Begründung zu formulieren gewußt. Karl ist mir wichtiger als du und überhaupt – deiner bin ich sowieso überdrüssig, und überleg bitte mal, was da in deiner Schublade herumliegt, wie sollen wir je auf einen gemeinsamen Nenner kommen …
Nein. Schmutzige-Wäsche-Waschen lag mir nicht, außerdem hielt ich mir so die Möglichkeit offen, daß wir eines Tages doch noch richtig gute Freunde werden würden.
Als dritte Amtshandlung ging ich zur Bank und überwies Karl das Geld. Unter »Verwendungszweck« schrieb ich: Sorry! Und unter »Noch Verwendungszweck«: Te quiero , was laut Toni alle Facetten von Ich will dich über Ich begehre dich bis Ich liebe dich abdeckte. Ob das haargenau so stimmte, wußte ich zwar nicht, aber es war sowieso die Frage, ob Karls Spanischkenntnisse ausreichten, um die Botschaft zu entschlüsseln. Jedenfalls hatte ich alles Menschenmögliche getan und damit auch ein reines Gewissen.
Was Oskar betraf, war ich unentschieden. Eigentlich hätte es mir mein Anstand geboten, mich auch von ihm zu verabschieden, aber da ich mich davor fürchtete, niemanden mehr zum Anlehnen zu haben und darüber hinaus meinen Job zu verlieren, brachte ich es doch nicht über mich. Außerdem – das gestand ich mir aber nur in einsamen, alkoholisierten Nächten ein – hatte ich immer noch den Ehrgeiz, einmal mit ihm zu schlafen. Was war das denn für ein Mann, der Angst bekam, sobald ihn eine Frau tatsächlich begehrte?
Gleich am übernächsten Tag traf ich mich mit ihm, wir gingen nach Geschäftsschluß essen, hatten uns aber schon bei der Vorspeise kaum noch etwas zu sagen. Meine Berlinberichterstattung fiel logischerweise karg aus, und auch Oskar schien in der Zwischenzeit so gut wie nichts erlebt zu haben. Außer daß er einen sandkorngroßen Knubbel in oder an seinem Hoden hinten links entdeckt hatte und nun
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