Lügen & Liebhaber
löste sich langsam aus seiner Erstarrung und kam näher. Ich hielt es für besser, einen Schritt zurückzuweichen – man wußte ja nie, wozu zivilisierte Menschen in der Lage waren. Skip legte schon schützend die Hände vor seinen Körper, aber Karl hatte gar nicht vor, auf ihn loszugehen.
»Woher sollte ich denn wissen …?« stammelte Skip, und Karl antwortete mit roboterhafter Stimme: »Und ich? Woher hätte ich denn wissen sollen …?«
Es war nur eine Frage der Zeit, wann Skip und Karl sich auf mich stürzen würden, und es lag mir wirklich nicht besonders viel daran, beiden Männern Rede und Antwort zu stehen. Ohne daß Karl und Skip es bemerkten, balancierte ich im Rückwärtsgang zur Schwingtür, und kaum war ich auf der Treppe, die nach oben zum Ausgang führte, fing ich an zu laufen. Zum Glück hatte ich weder Tasche noch Jacke an der Garderobe abgegeben, also verließ ich auf direktem Weg das Gebäude.
Natürlich war es idiotisch, wie ein Teenie die Flucht zu ergreifen – früher oder später würde ich mich den Männern doch stellen müssen –, aber das wurde mir erst klar, als ich mich im Baustellengewirr des Potsdamer Platzes verlaufen hatte.
Ich konnte nicht mal in den Zug steigert und nach Hause fahren, schließlich hatte ich meine Sachen bei Karl. Und dann war da noch die Synchronfirma – sollte ich etwa wieder unverrichteterdinge abreisen?
Im ersten Moment dachte ich daran, Toni anzurufen, meinen Rettungsanker in der Not. Aber kaum hatte ich eine Telefonzelle erspäht, ließ ich den Gedanken wieder fallen. Ich würde mir doch nur wieder irgendwelche Predigten anhören müssen, und danach stand mir wirklich nicht der Sinn.
Wie benebelt irrte ich über den Potsdamer Platz. Ein Teil der Gebäude war schon fertig, das Cinemax, das Debis-Haus, ich bewegte mich zwischen Bauarbeitern, Geschäftsleuten und Touristen und fühlte mich wie in einer Filmkulisse, Cinecittà im ausgehenden 20. Jahrhundert.
Skip und Karl kannten sich. Mit einer fast unheimlichen Treffsicherheit hatte ich die beiden Stecknadeln aus dem Heuhaufen namens Großstadtdschungel gepickt. Nun mußte ich die Konsequenzen tragen und irgendwie mit dem Schlamassel zurechtkommen. Mit Skip war es aus – keine Frage. Karl würde das verlangen, falls er überhaupt noch etwas von mir verlangte. Jetzt, da ich sein entsetztes Gesicht gesehen hatte, wußte ich, daß er mir wirklich etwas bedeutete. Auch wenn ich ihn nicht unbedingt heiraten wollte, war er mehr für mich als irgendein Skip, wahrscheinlich sogar mehr als ein Oskar.
Wo ging es bloß zur U-Bahn? Ich fragte einen Bauarbeiter, der deutete zwar mit dem ausgestreckten Arm einmal quer über die Baustelle, konnte mir dann aber auch nicht sagen, welchen Weg ich zu nehmen hatte. Und was sollte ich eigentlich dort? Wohin denn fahren?
Kurzerhand schlug ich die entgegengesetzte Richtung ein, fand schließlich eine Hauptstraße. Die vor kurzem noch tiefhängende Wolkenschicht hatte sich aufgelöst, statt dessen brannte die Sonne milchig weiß vom Himmel. Immer der Straße entlang. Ein Auto nach dem anderen donnerte mit viel zu hoher Geschwindigkeit an mir vorbei. Keine Ahnung, wie lange ich durch die Stadt taumelte, doch irgendwann stand ich vor dem KaDeWe – Zufall oder glückliche Fügung – und freute mich, weil ich gerade gedacht hatte, ein Kaufhaus, das wäre jetzt nicht übel.
In der Lebensmittelabteilung genehmigte ich mir als erstes einGlas Sekt. Obgleich mir immer noch flau im Magen war, ging es mir sogleich besser. Ich sollte etwas essen, überlegte ich und war im nächsten Moment bei den Fischbrötchen. Eins mit Krabben, eins mit Bismarckhering, danach fühlte ich mich gestärkt genug, um es mit Karl aufzunehmen.
Der Zeiger meiner Armbanduhr zeigte auf kurz nach vier. Ob Karl überhaupt schon zu Hause war? Vielleicht hatte er nur eine Pause genutzt, um ins Museum zu gehen. Vielleicht war er aber auch sauer in die nächste Kneipe gestiefelt und ließ sich vollaufen. Zusammen mit Skip?
Von draußen konnte ich nicht erkennen, ob Karl da war, und während ich die Eingangstür aufdrückte, wurde mir so schlecht, daß ich fürchtete, die beiden Fischbrötchen in den Treppenflur kotzen zu müssen. Zweimal tief durchatmen – es ging –, dann stieg ich im Zeitlupentempo die vielen Stufen nach oben. Hoffentlich würde es nicht das letzte Mal sein.
Wie ich es von Karl nicht anders gewohnt war, bewies er auch diesmal, daß er durch und durch Gentleman war. Er hatte meine Sachen
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