Lügen mit Zahlen: Wie wir mit Statistiken manipuliert werden (German Edition)
Mindeststudienzeit abzuschließen. Das sind Studierende, die in der Regel ihr ganzes Studium zielstrebig und konzentriert »durchgezogen« haben. Solche Studenten neigen dazu, auch bessere Abschlussnoten zu erzielen als der Durchschnitt. In späteren Absolventenjahrgängen kommen dann immer mehr »normale« und schließlich auch deutlich leistungsschwächere Studierende hinzu, die nach elf, zwölf oder mehr Semestern mit Ach und Krach ihr Diplom schaffen. Dadurch sinkt der Notendurchschnitt der Absolventen bei neuen Hochschulen unweigerlich für einige Jahre ab.
Auch hier gab es also wie bei den Piloten eine historisch bedingte Verschiebung in der Grundgesamtheit der Absolventen, die ähnlich wirkt wie eine vorsortierte Stichprobe.
Sind Sie verwundert, so viele unpolitische Beispiele von uns zu lesen? Da können wir abhelfen.
Ähnlich unfair wie der Vergleich der Durchschnittsstudierenden mit asiatischen Elitestudierenden ist der übliche Vergleich der Deutschen Bahn mit Privatbahnen . Private Bahnen gibt es in Deutschland im größeren Umfang erst seit den 1990er-Jahren, und deshalb mussten sie fast alle erst vor einigen Jahren ihre Erstausstattung an Zügen anschaffen. Die »alte« Deutsche Bahn dagegen hat in ihrem Fuhrpark immer noch unverwüstliche Waggons aus den 1960er-Jahren, und da sie sparsam wirtschaftet, verschrottet sie sie nicht einfach. Also haben Privatbahnen in der Regel neuere und modernere Züge als die DB. Aber fast noch wichtiger ist die Frage, welche Strecken denn von Privatbahnen gekauft werden. Die Antwort ist einfach: überwiegend die Besseren, denn schlechte Strecken zu kaufen ist sicherlich unrentabel. Also vergleichen wir die auf guten Strecken arbeitenden, relativ neuen Privatbahnen mit dem Durchschnitt der Deutschen Bahn. Dies soll kein Freifahrschein
für die DB sein, sich auf ihren Schwächen auszuruhen. Wir haben nur gezeigt, dass die Beweisführung für die Überlegenheit der Privatbahnen so nicht korrekt ist.
Umfragen unter den Absolventen bestimmter Hochschulen ergeben fast immer, dass eine überwältigende Mehrheit der Befragten schon kurze Zeit nach dem Examen eine gut dotierte Stelle bekommen hat. Wer das liest und persönlich weniger Glück hatte, neigt dazu, sich zu fragen: Was habe ich falsch gemacht? Alle haben tolle Jobs bekommen, nur ich nicht – das kann ja nur an mir liegen. Oder hat sich die Welt gegen mich verschworen? Doch in Wirklichkeit handelt es sich auch hierbei oft um vorsortierte Stichproben, die das Ergebnis der Umfrage verzerrt haben. Damit wagen wir uns auf das weite Feld der Umfragen, den größten Tummelplatz der sprichwörtlichen Töpfchen und Kröpfchen. Und am Ende werden Sie wissen, warum angeblich so viele Absolventen eine gut dotierte Stelle erhalten.
Darrell Huff leitete 1953 sein Buch Wie lügt man mit Statistik mit dem Thema Umfragen ein, und die erste Umfrage, die er zitiert, führte zu dem Ergebnis: »Der durchschnittliche Absolvent des Jahrgangs 1924 der Yale-Universität hat ein Jahreseinkommen von 25 111 Dollar.« 3 So stand es seinerzeit in der amerikanischen Zeitschrift Time. Ganz ähnlich hörten sich die Fanfarenstöße an, mit denen die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität Köln 2003 ein Umfrageergebnis bekanntmachte: Über 90 Prozent ihrer Absolventen hätten ein halbes Jahr nach dem Examen einen Job gefunden. 4
Wie kommen solche Ergebnisse zustande? Darrell Huff fragt dazu: Wer von den Angeschriebenen hat wohl am ehesten die Frage nach dem Gehalt gleich in den Papierkorb geworfen? Wahrscheinlich überwiegend Leute, die keinerlei
Grund hatten, mit ihrem Gehalt zu prahlen. Ähnlich bei der Umfrage der Uni Köln: Auch dort werden Absolventen, die Glück hatten, deutlich stärker geneigt gewesen sein, die Umfrage zu beantworten, als Absolventen, die noch auf das große Los warten. Und schon füllt sich verstärkt das Töpfchen mit »Guten« – will sagen: mit denjenigen, bei denen es gut gelaufen ist.
Den gleichen Effekt kennen wir auch im privaten Umfeld, zum Beispiel bei Klassentreffen: Nur selten lässt sich einer jener Abiturienten oder Schulabgänger zehn oder zwanzig Jahre später auf dem Klassentreffen blicken, der in seinem Beruf oder Privatleben gescheitert oder schwer erkrankt ist. So kommt der falsche Eindruck zustande, dass »eigentlich alle« es zu etwas »Ordentlichem« gebracht hätten. Wobei wir noch gar nicht berücksichtigt haben, dass auch die Teilnehmer meist nur ausgesuchte Teile
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