Lügen mit Zahlen: Wie wir mit Statistiken manipuliert werden (German Edition)
in anderen Szenarien geschürte Angst, dass uns die Arbeit ausgehen könnte.
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Dazu ausführlich Gerd Bosbach/Klaus Bingler: »Droht eine Kostenlawine im Gesundheitswesen?«, a.a.O., S. 7 – 10.
Kapitel 12
Stiftung Warentest im Renditerausch
Auf dem Markt der Finanzdienstleister sind wir als Kunden Kapriolen gewohnt. Schließlich müssen diese Firmen bei scharfer Konkurrenz für ein Produkt werben, dessen Zukunft unsicher ist, mit dem aber heute schon ordentlich verdient wird. Die Provisionen der Verkäufer und die Gewinne der Dienstleister mit den Produkten sind beachtlich. Dass beispielsweise eine private Rentenversicherung mit unseren Beiträgen zuerst Provisionen, Kosten und Gewinne finanziert und nur das anlegt, was übrig bleibt, ist eigentlich offensichtlich, soll aber im Verkaufsgespräch möglichst unberücksichtigt bleiben.
Private Rentenversicherungen
Der Finanzmarkt ist also die ideale Brutstätte für Statistiklügen aller Art, wie Sie sie in den ersten zehn Kapiteln dieses Buches kennen gelernt haben. Umso wichtiger sind für den Verbraucher deshalb unabhängige Informationen. Wer aber bewahrt in einem solchen Zig-Milliarden-Geschäft wohl seine Unabhängigkeit?
Die Stiftung Warentest vielleicht? Mit großen Erwartungen schlug ich 2007 ein Sonderheft dieser angesehenen Organisation zur Riester-Rente auf. 1 Doch schon bald wich die Erwartung
dem Zorn. Lesen Sie selbst, wie die Warentester ihren »Bericht« über Riester-Fondssparpläne eingeleitet haben:
»Aktien für eine gute Rente
Riester-Fondssparpläne bieten die besten Renditechancen von allen Riester-Produkten.
Da behaupte noch mal einer, riestern lohnt sich nicht. 100 Euro pro Monat, 35 Jahre lang verzinst mit 9 Prozent pro Jahr, ergibt 271 306 Euro. Mit diesem Beitrag könnte ein heute 32-Jähriger seine Rente beginnen, wenn er einen Riester-Fondssparplan abschließt. 9 Prozent pro Jahr, so viel bringen im Schnitt die besten Angebote in unserem Test, gerechnet seit dem 1. Juli 2002.«
Weiter unten im Artikel erhält der Leser die Auskunft, dass die Bewertung der Produkte zum 1. 9. 2007 erfolgte. So stand es da schwarz auf weiß. Bei unkritischem Lesen stellen sich Gefühle ein wie: Raffinierte Geldanlage! 100 Euro im Monat? Das ist ja zu packen! Da muss man ja dumm sein, wenn man sich diese Chance entgehen lässt.
Aus dem zweiten Satz geht hervor, dass ein 32-Jähriger nur zwei Dinge tun muss, um exakt 271 306 Euro anzusparen: einen der Riester-Fondssparpläne abschließen, die im Test am besten abgeschnitten hatten, und 100 Euro im Monat dafür aufbringen. Die exakte Zahl vertreibt Gefühle der Unsicherheit und erinnert an gewisse Lotto-Angebote mit Sofortrente. Das Lob für die tollen Fonds wird auch durch ein großes Foto verstärkt: Mehrere Herren dürfen sich nach getaner Spitzenarbeit im Wasser abkühlen. Überschrift: »Ein bisschen Planschen hätten sie verdient, die Manager der besten Riester-Fondssparpläne. «
Wohlgemerkt, wir zitieren nicht aus einer Werbebroschüre!
Schon der erste Absatz enthält fünf gravierende Verstöße gegen Grundregeln der Statistik . Ob Sie das als Lügen bezeichnen wollen, können Sie nach der Lektüre der nächsten Seiten selbst entscheiden.
Die Finanztester haben eine Entwicklung über 5 Jahre beobachtet und dann einfach über 35 Jahre in die Zukunft verlängert (unzulässige Trend-Extrapolation).
Ein langfristiger Zinssatz von 9 Prozent auf Ersparnisse widerspricht aller Erfahrung.
Die Finanztester tun so, als wären die besten Aktien der Vergangenheit identisch mit den besten Aktien der Zukunft.
Die Prognose verlängert eine außerordentliche Boom-Periode in die Zukunft.
Die Finanztester haben den Lesern suggeriert, nominale Werte seien reale Werte.
Riester-Fondssparpläne sind nicht nur auf Aktien aufgebaut. Wir widmen uns im Folgenden dennoch speziell dem Thema Aktien, weil die Stiftung Warentest in jenem Sonderheft ausdrücklich gesagt hat, dass Fondssparpläne mit hohem Aktienanteil besonders hohe Rendite versprächen. 2
1. Die unzulässige Trend-Extrapolation
Sie kennen unsere Skepsis gegenüber Langzeitprognosen aus dem Kapitel »Die Magie der Prognose«. Studierende tun sich oft schwer damit, diese Skepsis nachzuvollziehen. Doch ich konnte sie schon mehrmals umstimmen, indem ich ihnen scharf, aber freundlich in die Augen schaute und sagte: »Liebe
Studis, was haltet ihr davon, dass ich euch vom 20. bis zum 25. Geburtstag am Campus beobachte und dann mit der Übergabe des
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