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Luegenherz

Luegenherz

Titel: Luegenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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beruhigen, auch wenn ich merke, wie mein Herz schneller schlägt, weil mir dämmert, dass heute meine große Chance gekommen ist.
    »Ich dachte, ihr seid auf der Schule, um zu lernen! Müsst ihr denn jetzt schon so perfekt sein?«
    »Nein, müssen wir nicht!« Sie feuert den Pinsel auf den Tisch. »Aber er hat mir angeboten, bei der Sonderausstellung ›Junge Talente‹ von der bayerischen Handwerkskammer mitzumachen. Da stellen sonst nur Schüler der Kunstakademie aus. Das sind die richtig tollen, die echten Künstler. Und es wäre für mich eine Riesenchance, wenn ich das schaffen würde.«
    »Aber wozu das denn?«
    »Na hör mal, man steht im Katalog, man wird ausgestellt, das ist doch das Größte.«
    »Machen die nicht nur so blödes Kunstzeugs, das eh keiner kauft? Ich glaube, du willst das alles nur wegen deiner Eltern, damit die dich ernst nehmen und du neben Jury gut dastehst.«
    Ihre Augen blitzen auf, dann zuckt sie mit den Schultern, als hätte es keinen Sinn, mit mir darüber zu reden. Verdammt, ich hätte meinen Mund halten sollen, denn eigentlich bin ich mir ganz sicher, welcher Lehrer diese Gemeinheit von sich gegeben hat. Und das wiederum wäre der perfekte Einstieg für mich und meine Geschichte.
    »Zeig mir doch mal den Entwurf.«
    »Geht nicht, den hab ich verbrannt.«
    »Schade, vielleicht war der Entwurf super und der Typ hat einfach keine Ahnung.«
    Ally tippt sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. »Von wegen! Der Landgraf sitzt mit in der Jury, der kennt sich aus, das ist schließlich sein Job!«
    Bingo, jetzt muss ich sofort einhaken. Sein Name ist zum ersten Mal gefallen. Doch wenn sie wirklich so viel von seinem Urteil hält, dann wird alles viel komplizierter, als ich dachte.
    »Landgraf?«, frage ich und verleihe meiner Stimme ein tonloses Zittern.
    »Sag ich doch, hörst du mir gar nicht zu, oder was?« Sie zieht einen Bleistift aus ihrem zerfledderten Haarkranz und kritzelt damit etwas in ein Skizzenbuch, ohne mich anzusehen.
    Das läuft unterirdisch schlecht, sie ist immer noch wütend, und hat deshalb gar nichts mitgekriegt.
    Ich schweige also und hoffe, sie merkt, dass sie etwas Falsches gesagt hat. Nach einer halben Ewigkeit hebt sie den Kopf und schaut mich an.
    »Tut mir leid. Ich bin sauer. Aber wieso fragst du? Kennst du den Landgraf denn?«
    Ich denke an alles, was dieses miese Arschloch zu verantworten hat, und schaffe es, meine Augen zum Schwimmen zu bringen und schweigend zu nicken.
    Sie setzt sich aufrechter hin und wirft mir fragende Blicke zu.
    Ich hab sie.
    Jetzt nur nichts falsch machen. Mein Herz schlägt, als wäre ich kilometerweit gerannt. Ich atme tief ein und aus. Es ist okay, dass mir das schwerfällt. Aber es muss sein.
    »Ich habe mal einen gekannt«, sage ich ganz leise, »der mit Höhlenklettern zu tun hatte, aber das ist sicher ein anderer.«
    Ally schüttelt den Kopf. »Nein, nein, der Landgraf an unserer Schule, der heißt mit Vornamen Tobias und geht mit gestörten, nein, verhaltensauffälligen Jugendlichen zum Klettern in Höhlen – hab ich jedenfalls gehört.«
    Ich bin sicher, ich bin bei seinem Vornamen bleich geworden, denn mir ist wirklich schlecht. Kotzübel.
    »Tobias?« Nur noch ein Flüstern kommt aus meinem Mund und dann fange ich an zu schwitzen.
    »Was ist denn mit dir los? Mila!« Ally steht auf, geht um den Tisch, legt ihren Arm um mich und jetzt muss ich wirklich anfangen zu heulen. Es schüttelt mich am ganzen Körper.
    »Mit gestörten Jugendlichen«, bringe ich stotternd hervor und versuche, mich wieder zu fassen. Aber es ist, als ob ein Damm gebrochen wäre. All das Elend, das er angerichtet hat, fließt aus mir heraus, und das ist ganz anders als beim Ritzen, wo der Schmerz mit dem Blut zusammen herausströmt und dich erlöst. Das hier tut weh, soo weh. Und es hört nicht auf, nur weil es wehtut.

5. Ally
    Ich umarme sie, so fest ich kann, obwohl Rotz aus ihrer Nase läuft, der von ihren Tränen weggespült wird. Irgendwann reiche ich ihr Taschentücher und versuche, sie weiter festzuhalten. Aber sie hört gar nicht mehr auf. Es ist, als ob ich den Stöpsel aus einer übervollen Badewanne gezogen hätte – und alles nur wegen dem Landgraf! Was mag da bloß passiert sein?
    Ich schaue auf mein Gekritzel und denke mal wieder, wie gut es ist, dass Mila in mein Leben gekommen ist. Ein schändlicher Gedanke angesichts der Tatsache, dass ihr etwas Furchtbares zugestoßen sein muss. Aber das bringt mich auf den Teppich, zurück dahin, was

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