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Luegenherz

Luegenherz

Titel: Luegenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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fünfundzwanzig Grad.
    »Guten Morgen, Ally. Als Höhlenkameraden sollten wir jetzt zum Du übergehen. Also, ich heiße Tobias.«
    Er reicht mir seine Hand und zerquetscht meine beinahe zu Mus. Oh Mann, was der für Pranken hat!
    Dann begutachtet er mich von oben bis unten. »Hast du noch einen Pullover und eine lange Hose dabei? Und diese Riemchensandalen gehen gar nicht. Wir müssen durch unwegsames Gelände, um zur Höhle zu kommen.«
    Unwegsames Gelände? Davon war vorher nie die Rede. »Hab ich alles im Rucksack«, behaupte ich, und was die Schuhe angeht, stimmt das auch. Ich hab mir überlegt, dass nackte Arme auf den Fotos besser aussehen werden und in der Höhle würde ich sowieso noch den Höhlenoverall drüberziehen müssen. Aber so weit wird es ja nicht kommen.
    »Dann ist ja gut«, brummelt er und öffnet die Tür seines weißen Renault Megane. Keine Kindersitze, fällt mir auf, aber die hat sicher seine Frau im Auto.
    Nachdem wir eingestiegen und angeschnallt sind, tippt der Landgraf noch was in sein Navi ein, dann fahren wir los. Er schaltet das Radio an; gut, dann brauchen wir erst mal nicht zu reden.
    Ich versuche, mich zu entspannen, schaue aus dem Fenster und denke an lustige Screwball-Comedys mit Katherine Hepburn und Spencer Tracey, die Jury und ich oft nachgespielt haben. Irgendwie muss ich mich ja ablenken; auf gar keinen Fall will ich an nachher denken – darüber habe ich mir schon die halbe Nacht den Kopf zerbrochen.
    Auf einmal dreht Landgraf den Ton leiser und wendet sich mir zu. »Ally, ich hab’s mir anders überlegt, wir fahren doch nicht zur Angerlochhöhle. Obwohl sie nicht sehr anspruchsvoll ist, glaube ich, dass sie als Einstieg für dich trotzdem etwas zu hart ist.«
    Das ist nicht wahr.
    Ich bin im falschen Film.
    Mein Körper ist plötzlich angespannt wie eine durchgezogene Bogensehne kurz vor dem Abschuss. Nur in meinem Kopf rast alles durcheinander. Was kann ich denn jetzt tun? Ich muss unbedingt Mila anrufen, die ist heute schon ganz früh in die Nähe der Angerlochhöhle gefahren, damit sie rechtzeitig vor uns dort sein kann. Mist, Mist, Mist.
    »Und wo fahren wir dann hin?« Wenn ich besser aufgepasst hätte, dann hätte ich sofort merken müssen, dass wir nicht auf die Autobahn nach Garmisch-Partenkirchen gefahren sind. Wir sind in Richtung Salzburg unterwegs. Wie kann man nur so bescheuert sein? Ich schwelge in Kindheitserinnerungen, während unser Plan mit jedem Kilometer, der weiter weg von München führt, zu einer grauenhaften Katastrophe mutiert.
    »Überraschung …« Er wirft mir einen Blick aus seinen blauen Augen zu, der mich noch nervöser macht, als ich ohnehin schon bin. Und als er dann auch noch breit grinst, habe ich den Eindruck, dass mir das Frühstück gleich wieder hochkommt.
    Oh Mann, was mache ich denn jetzt? Ich muss unbedingt rauskriegen, wo wir hinfahren, wie soll Mila denn sonst Bilder machen? Und was ist, wenn der Landgraf doch heute schon anfängt, mich zu belästigen?
    »Ich würde wirklich gern wissen, wohin genau wir fahren«, quetsche ich hervor und durch meinen Kopf rasen alle möglichen Szenarien – und jedes einzelne endet damit, dass ich mit Landgraf allein in einer engen dunklen Höhle bin und er keuchend auf mir draufliegt.
    »Zum Untersberg, aber mehr darf ich dir nicht verraten. Ich bin Mitglied bei verschiedenen Vereinen und wir sind uns einig, dass man Höhlen vor Menschen schützen muss. Es gibt so viele verantwortungslose Abenteurer, die nichts anderes tun, als die Höhlen zu zerstören, die ihren Müll zurücklassen, mit Fackeln in Höhlen gehen oder mit ihren Händen die herrlichsten Sinter und Tropfsteine berühren. Und wenn wir eine besondere Höhle gefunden haben, dann behalten wir die genauen Geodaten für uns, sonst wird sie ganz schnell eine Touristenattraktion und das ist der Untergang einer jeden unberührten Höhle.«
    Er wirft mir einen Beifall heischenden Blick zu und für eine Sekunde frage ich mich, was ich hier tue. Was ist passiert, dass ich mit jemandem, der bis vor Kurzem einfach nur mein nervtötender Lehrer war, auf dem Weg in eine unbekannte Höhle bin? Ich muss vollkommen irre sein. Ich schließe die Augen und versuche, ruhig zu atmen. Da schieben sich die Narben von Milas Arm vor mein inneres Auge, ich höre, wie Jury von dem Selbstmord erzählt, und ich werde wieder klarer im Kopf.
    Das sind die Gründe für meine Mission. Es geht hier nicht um mich. Es geht um Freundschaft. Um Gerechtigkeit.
    Ich schlage

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