Luegenherz
neulich verjagt hat. Nur hat er diesmal eine dicke Halskrause um – das war also das Helle, das ich gesehen habe! Außerdem trägt er den linken Arm in einer Schlinge und hat ein Gipsbein und eine Krücke.
Und vor dem hatte ich solche Angst …!
Die Polizisten fragen mich, ob das der Typ ist, den ich gesehen habe, ob er mir schon öfter aufgefallen oder vielleicht in die Wohnung gefolgt ist und ob ich Anzeige erstatten möchte.
Ich bin vollkommen überfordert, denke sogar flüchtig daran, Jury anzurufen, aber diese Möglichkeit verwerfe ich sofort. Das wäre nur Wasser auf seine Mühlen.
Der Typ starrt mich flehentlich aus großen Augen an und behauptet, er hätte nur mit mir reden und mich warnen wollen. Die Polizisten werfen sich einen Blick zu.
»Freundchen«, fängt der Dickbäuchige an, »wir haben ja schon viele Ausreden von Spannern gehört, aber die ist echt mal was anderes. Wollten Sie die junge Frau hier vielleicht vor sich selbst warnen?«
Der schlanke Polizist grinst, unterdrückt es aber sofort wieder. »Würden Sie sich bitte ausweisen?«, sagt er dann.
Aber der Typ hat keinen Ausweis dabei, behauptet, den hätte er im Wald verloren, was den beiden Polizisten ein ärgerliches »Ja klar, den ham’ mer also im Wald verloren …« entlockt und dann beschließen sie, ihn auf die Wache mitzunehmen, um seine Personalien festzustellen. Sie schreiben auch meine auf und schlagen vor, dass ich morgen aufs Revier komme, um Anzeige zu erstatten.
Sie führen ihn zum Tor, das ich ihnen aufschließen muss. »Vorhin sind wir drübergeklettert«, erklärt der Schlanke. »Bei Gefahr im Verzug machen wir das manchmal.«
Und jetzt wird mir auch klar, warum ich keine Sirene gehört habe – weil die beiden natürlich wussten, dass sie den Spanner sonst verscheuchen würden.
»Danke, dass Sie so schnell gekommen sind.« Ich schließe das Tor hinter ihnen. Doch plötzlich bleibt der Typ stehen und dreht sich zu mir um.
»Du brauchst keine Anzeige zu erstatten«, sagt er. »Ich bin kein Spanner und würde einer Frau niemals etwas antun. Ich wollte dich nur warnen, vor Mila.«
»Schon gut, Freundchen, schon gut. Wir nehmen Sie jetzt mit und dann sehen wir weiter.« Einer der Polizisten dreht sich zu mir um. »Ist mit Ihnen alles in Ordnung? Können Sie jemanden anrufen, der heute Nacht noch zu Ihnen kommt?«
Ich nicke, aber natürlich werde ich niemanden anrufen, denn ich muss nachdenken.
Warnen wollte er mich …
Ich werfe den dreien einen Blick hinterher, wie sie den Gehsteig entlang zum Streifenwagen laufen. Dabei dreht sich der Typ noch einmal nach mir um.
Neulich hatte er noch keinen Gips.
Warnen vor Mila.
Verdammt, was geht hier eigentlich vor?
22. Mila
Ich habe mir das gut überlegt. Alle Alternativen durchdacht. Selbst wenn ich die Fotos heimlich ins Netz stelle, wird Ally sie sofort dementieren und erklären, was man auf ihnen wirklich sieht. Und vielleicht kriege ich dann sogar noch eine Klage wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts oder so was Ähnliches an den Hals, schließlich ist Allys Mutter eine Staranwältin. Und das würde Mama dann total fertigmachen.
Nein, ich denke, ein Unglück oder Unfall ist eine geniale Sache – eigentlich verrückt, dass ich da nicht schon früher draufgekommen bin. Das ist wesentlich besser, als nur seinen Ruf zu ruinieren, denn so ist er aus dem Weg geräumt und kann wirklich niemandem mehr wehtun.
Und weil Ally mich verraten und nur dazu benutzt hat, Landgraf näherzukommen, muss sie auch einen Preis bezahlen. Und dieser Preis wohnt hier in diesem Palast.
Nur mühsam kann ich meine Verachtung unterdrücken, als ich in Schwabing an der Tür ihres Bruders klingle. Alles ist so perfekt bei Allys Familie …
Er macht sofort die Tür auf, stutzt kurz, doch dann lächelt er mich an, als wäre ich ein Sechser im Lotto.
»Wow!« Sein bewundernder Blick gleitet über meinen Körper und die eben noch hell lodernde Flamme meines Zorns wird für einen Moment von diesem sanften Schleier aus Freundlichkeit und Begeisterung umhüllt, ja fast schon zum Verlöschen gebracht.
Was für eine Wirkung Allys blöder Bruder haben kann! Wie auch seine Schwester ist er sehr groß und breitschultrig, hat klare Gesichtszüge und eine makellose Haut. Allerdings hat er, anders als sie, ein kleines Grübchen im Kinn. Und seine Augen sind riesig und himmelblau, wie die eines Babys, was einen tollen Kontrast zu seinen dunklen, sehr kurz geschnittenen Haaren ergibt.
Die letzten
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