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Luegenherz

Luegenherz

Titel: Luegenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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mir passiert sein. Früher fand ich es großartig, allein in meinen vier Wänden zu sein, aber jetzt gerade wünschte ich mir, dass dort jemand auf mich warten würde. Jemand, mit dem ich über meine Eltern oder Jury ablästern könnte, jemand, der mit mir noch runter an die Isar gehen würde. Da traue ich mich um diese Uhrzeit dann alleine doch nicht mehr hin. Und wenn ich ganz ehrlich bin, dann weiß ich auch, wer dieser jemand sein soll. Merkwürdigerweise ist es nicht Ferdi, sondern Mila.
    Hundert Mal habe ich bei ihr angerufen, aber sie nimmt nicht ab und ruft auch nicht zurück. Sie hat mir also doch nicht verziehen. Und je länger ich darüber nachdenke, desto besser verstehe ich sie. Obwohl ich sicher bin, dass sie mich nicht belogen hat, schaffe ich es einfach nicht, mir den Landgraf als Vergewaltiger vorzustellen. Das alles macht mich dermaßen unglücklich, weil ich überhaupt keine Ahnung habe, wie ich aus dieser Zwickmühle je wieder rauskommen kann.
    Als ich das Hoftor aufsperre, scheint es mir so, als wäre jemand hinter mir, aber als ich mich umdrehe, ist da niemand.
    Aufatmend betrete ich meine Wohnung, schleudere noch im Stehen die Schuhe von mir und ziehe mich aus, um eine kühle Dusche zu nehmen.
    Als ich in die Duschkabine steige, muss ich wieder an Mila denken und daran, wie sie hier geduscht hat und ich ihre Narben gesehen habe. Während ich mich mit einem nach Honig und Melone duftenden Gel einschäume, sehe ich Mila vor mir, wie sie mit nassen Haaren aus der Dusche steigt und mich anlächelt wie eine traurige Fee. Und dann erinnere ich mich deutlich daran, wie sie neben mir im Bett gelegen hat, ihr lockiges Haar ausgebreitet über ihrem Narbenarm. Und wie jedes Mal, wenn ich an sie denke, spüre ich dieses Ziehen im Bauch. Bin ich in sie verliebt? Heißt das, ich stehe auf Mädchen? Aber meine Gefühle sind ganz anders als die für Ferdi. Ferdi wollte ich nie beschützen, Mila aber schon. Als ich die Duschkabinentür zur Seite schiebe, kommt es mir so vor, als würde ich aus den Augenwinkeln heraus etwas Helles an meinem Fenster weghuschen sehen.
    Einbildung. Das kommt von diesen sinnlosen Gesprächen mit meiner Familie!
    Trotzdem klopft mein Herz deutlich schneller. So nass und nackt fühlt sich selbst etwas Eingebildetes ziemlich schrecklich an. Ich halte das Handtuch so, dass es mich komplett umhüllt, und schiele unauffällig zum Fenster. Jetzt ist das Helle wieder zurückgekommen. Das Helle ist ein Schal, der Rest verschmilzt mit der Dunkelheit.
    Mein erster Impuls ist es, laut schreiend rauszulaufen, aber erstens bin ich nackt und zweitens wäre das sehr dumm. Der Kerl wäre gewarnt, würde abhauen und morgen Abend vielleicht wieder dastehen oder gleich über mich herfallen.
    Polizei – ich muss die Polizei rufen! Langsam gehe ich zum Telefon, damit der Typ keinen Verdacht schöpft, und rufe die 110. Als jemand rangeht, muss ich mich ein paarmal räuspern, dann flüstere ich in den Hörer, dass hier ein Kerl ist, der mich durchs Fenster anstarrt und ich große Angst habe, er könnte irgendwie in meine Wohnung kommen.
    Ich bin verdammt froh, als die freundliche Stimme am Telefon mich beruhigt und verspricht, dass sofort eine Streife vorbeikommen und nachschauen wird. Ich erkläre, dass es eine Hinterhof-Erdgeschosswohnung ist, die Frau bedankt sich und versichert mir, die Kollegen würden das schon schaffen.
    Dann verschwinde ich hinter meinem Perlenvorhang, ziehe mich hastig an und flechte meine Haare, was reichlich schwierig ist, wenn einem die Hände zittern, aber ich muss mich beruhigen. Ich warte die ganze Zeit, dass ich endlich eine Sirene höre, aber es bleibt verdammt still.
    Wie lange brauchen die Polizisten denn? Ich wohne doch mitten in der Stadt und nicht auf einer Alm!
    Ungeduldig drehe ich mich um und schaue zum Fenster – Mist, jetzt ist das Helle weg! Wenn er nur nicht verschwindet, bevor die Polizei da ist …
    In derselben Sekunde wird so laut an meine Tür gehämmert, dass ich erschrecke und die letzten Haarsträhnen fallen lasse.
    »Polizei!«, sagt eine dunkle Stimme und für eine Sekunde stelle ich mir vor, dass das ein Trick ist, mit dem sich der Spanner Einlass verschaffen will.
    Ich mache die Tür zögernd einen Spalt auf und sehe zwei Polizisten, die mir ihre Ausweise zeigen. Sie tragen Uniform, die bei dem einen stark über dem dicken Bauch spannt. Dann fällt mein Blick auf den Typen, der zwischen ihnen steht – es ist tatsächlich derselbe, den Mila

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