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Luegenherz

Luegenherz

Titel: Luegenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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Gras niedergetreten.« Er geht zielstrebig weiter und ich folge ihm, dabei unterdrücke ich das immer stärker werdende Gefühl von Panik, die ganze Zeit kann ich nur an Jury denken, meinen Superbruder, den ich mir schon so oft in die Hölle gewünscht habe. Aber wenn ihm jetzt etwas zustoßen würde, dann wäre das wirklich die Hölle. Angst steigt in mir auf, Angst um Jury – und Angst davor, dass ich noch mal in diese Höhle steigen muss. Keine Angst vor Säbelzahntigern, die gar nicht da sind, versuche ich, mir zu sagen und ruhig zu atmen.
    Wir gehen bergauf, Tom keucht und stöhnt abwechselnd. Ich bin mir sicher, er hat Schmerzen, aber er beißt die Zähne zusammen und humpelt, so schnell er kann. An einer Wegbiegung bleibt er stehen und zieht ein Nickytuch mit lauter Totenköpfen aus der Tasche. Er faltet es dreimal und versucht, es sich umzubinden, um die lockigen Haare aus der Stirn zu halten, aber er schafft es nicht mit nur einem Arm.
    Ich gehe zu ihm und helfe ihm. Er riecht gut, obwohl er stark schwitzt. Als ich fertig bin, treffen sich unsere Blicke und ich sehe zum ersten Mal, dass in seinen grauen Augen blaue Farbkristalle leuchten wie in einem Kinderkaleidoskop.
    »Ich bin froh, dass du hier bist, aber warum bist du überhaupt mitgekommen?«, frage ich ihn.
    »Was ist denn das für eine blöde Frage? Um zu verhindern, dass Menschen sterben.« Er zögert. »Nicht, dass du meinst, ich wäre so ein Gutmensch, aber ich habe Mila mal geliebt und sie braucht Hilfe. Ich bin froh, dass du mir Bescheid gesagt hast. Wollen wir hoffen, dass wir es rechtzeitig schaffen.« Er lächelt gequält, ehe er sich umdreht und weiterläuft.
    Tom wird mir immer sympathischer, ich glaube nicht, dass Jury oder Ferdi so etwas für eine Verflossene tun würden – schon gar nicht, wenn sie so von ihr verletzt worden wären.
    Langsam, sehr langsam nur kommen wir voran. Es ist so schwül, dass sich die Luft schon beim Einatmen klebrig anfühlt. Und weil wir so langsam sind, umschwirren uns gierige Mücken, aber ich bin dermaßen damit beschäftigt, all die Gurte und Taschen festzuhalten, dass ich nicht mal eine Hand zum Wegwedeln frei habe.
    Ich frage mich, wie lange wir schon unterwegs sind. Doch dann entdecke ich am Boden diese Blumen mit den roten Blüten, die wie eine Art Turbanglöckchen aussehen. Erleichtert stelle ich fest, dass es nun nicht mehr allzu weit sein kann.
    Genau in diesem Moment ertönt leises Donnergrollen.
    »Das gefällt mir nicht.« Tom zeigt zum Himmel. »Wir sollten uns beeilen.«
    Wir laufen schneller, ich halte den Blick auf den Boden gerichtet und plötzlich pralle ich auf Toms Rücken, der abrupt stehen geblieben ist. Wortlos zeigt er auf einen Personalausweis, der vor ihm auf dem Waldboden liegt.
    Ich bücke mich und hebe ihn schwer atmend auf. »Das ist dein Ausweis«, sage ich und halte diesen ihm entgegen.
    Tom grinst und plötzlich erinnert er mich an Winnie Puh, wenn er unverhofft einen Honigtopf entdeckt hat. »Sehr gut, du siehst, ich habe den Polizisten die Wahrheit gesagt. Ich muss ihn verloren haben, als ich vom Hochsitz zurück zum Auto gekrochen bin. Ich bin nicht sehr weit gekommen, und wenn nicht diese Gruppe österreichischer Botanikstudenten hier aufgekreuzt wäre, dann läge ich wahrscheinlich immer noch hier.«
    Es donnert lauter.
    Tom sieht sich etwas verloren um. »An diesen Waldabschnitt kann ich mich nicht mehr richtig erinnern. Verdammt!«
    »Ich glaube, wir sind schon fast da«, sage ich und kneife die Augen zusammen, um besser sehen zu können. »Schau mal, dort drüben«, rufe ich aufgeregt, »dieser Fels, der wie ein Wal aussieht … «
    Ich laufe einfach los, stolpere über das Gestrüpp, und je näher ich dem Wal komme, desto sicherer bin ich, dass es der richtige Felsen ist. Doch bevor ich ihn erreiche, versperrt mir ein Hindernis den Weg, es ist der Hochsitz. Er ist umgekippt und liegt wie ein abweisender Zaun vor dem Felsen. Ich klettere über die Holzbalken und renne zu dem Felsen hin, gehe noch ein paar Schritte weiter. Da liegen die Rucksäcke und Kleider von Landgraf und Jury, ganz oben auf seinem Haufen seine geliebte Sonnenbrille. Ich könnte heulen vor Erleichterung!
    Schnell klettere ich zurück und rufe Tom. »Tom, Tom hier ist es!«
    Über mir kracht ein so gewaltiger Donner, dass ich zusammenzucke und verdammt froh bin, dass Tom auch hier ist.
    Als er endlich am Höhleneingang angekommen ist, setzt er sich seinen Helm auf und leuchtet mit der Helmlampe in

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