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Luegenherz

Luegenherz

Titel: Luegenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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eigentlich hätte ich wissen müssen, dass das nicht klappt, schließlich war es ja bei Carolina genauso gewesen. Dabei war’s so toll, eine Freundin zu haben, die drei Jahre älter war und bereits so viel erlebt hatte wie andere in ihrem ganzen Leben nicht. Carolina hatte schon mal in LA gelebt und sogar gekokst, dann aber noch rechtzeitig die Kurve gekratzt. Sie war wahnsinnig klug. Als sie meinen Arm gesehen hat, hat sie dafür gesorgt, dass ich damit aufhöre, und mir gezeigt, dass ich nicht nur ein elender Versager bin, den keiner lieben kann. Und dann bringt sie sich um – wegen ihm! Die Arme wusste ja nur von Mama und er hat ihr immer erzählt, er hätte nur noch wegen mir mit ihr Kontakt. Und weil er mit Mama nie verheiratet war, dachte sie, das wäre wahr.
    Ich hatte geglaubt, alles über sie zu wissen, bis ich ihren Brief gefunden habe. Den Brief, den ich auswendig kann – eine weitere Klinge für mein Herz, die er zu verantworten hat.
    Du hast zu mir gesagt, die Lüge tötet die Liebe, das mag sein, doch das Bittere ist, die Wahrheit tötet sie manchmal erst recht.
    Oder vielleicht ist es auch einfach nur so, dass er ein großes Feuer in meinem Herzen entfacht hat, an dem er sich aber nicht mit mir zusammen wärmen wollte, und so bin ich lichterloh an ihr verbrannt, an meiner aussichtslosen Liebe.
    Wenn du diese Mail liest, kannst du nichts mehr tun. Du hast alle Zeit der Welt, um sie zu lesen, denn ich bin schon tot. Und das ist nicht deine Schuld. Es ist niemandes Schuld. Im Gegenteil, ich danke dir, weil du mir, wenn auch unwissentlich, die Augen geöffnet hast. Ich war blind und wollte nicht sehen.
    Jetzt sehe ich. Das hat zuerst sehr wehgetan, aber man darf eben nicht nur das glauben, was man glauben will. Und nachdem ich nun die Wahrheit kenne, habe ich auch die Kraft, mich zu entscheiden, ob ich damit leben möchte.
    Ich maile dir, damit du dich nicht schuldig fühlst. Ich schreibe es noch einmal: Mein Tod ist niemandes Schuld, denn er ist meine freie Entscheidung. Ein Leben ohne ihn ist nicht das Leben, das ich führen will oder kann.
    Ohne zu wissen, wer er ist, hast du gesagt, andere Mütter hätten auch schöne Söhne, aber so kann nur jemand reden, der nie erlebt hat, was Liebe ist. Du weißt ja, dass ich schon viel erlebt habe, und ich dachte auch, mich könnte nichts mehr umwerfen. Doch da habe ich mich gründlich getäuscht.
    Ich wollte das nicht und habe auch nicht darum gebeten, doch sein Lachen, seine Hände, sein Mund – all das berührt mich durch und durch, verglüht mein Inneres zu glitzernden Sternenfunken, aus denen für mich das Glück gemacht ist.
    Löscht mich aus und erschafft uns.
    Doch wenn es uns nicht geben kann, bleibt mir nichts. Ich verstehe, dass du mich für verrückt halten musst, es könnte sogar sein, dass das stimmt. Aber das ändert nichts daran, dass es für mich nur noch alles oder nichts geben kann.
    Versuch, ihm zu vergeben, er kann nicht anders. Er wird sich nie für nur eine entscheiden können.
    Bitte versteh, dass es nicht in deiner Macht stand, mich daran zu hindern. Nur er hätte das vermocht. In einer Minute mit ihm habe ich mehr erlebt als in den zwanzig Jahren davor. Also habe ich lange genug gelebt.
    Das sei dir Trost. Verzeih mir.
    Sie war tot und ich konnte ihr nicht verzeihen – und ihm noch weniger. Sie haben mich benutzt, immer nur benutzt. Und er hat einfach weitergelebt, als ob nichts gewesen wäre. Die Vorwürfe ihrer Eltern waren gerechtfertigt, aber niemand hat ihnen geglaubt, wie auch mir niemand glaubt, der einmal meine Narben gesehen hat.
    Immer wieder habe ich mich gefragt, ob ich es hätte verhindern können. Ob ich ihren Tod hätte abwenden können, wenn ich gewusst hätte, was dieses Lügenherz ihr angetan hat. Ich lege die Hände ans Lenkrad und den Kopf darauf. Ich würde gern weinen, aber es geht nicht. Stattdessen wünsche ich mir ein Messer.
    Ein krachender Donnerschlag reißt mich aus diesen sinnlosen Gedanken. Ich zucke zusammen und dann schrecke ich hoch, als mir plötzlich klar wird, was eigentlich los ist. Es schüttet aus Kübeln. Ich habe die Seile aus der Höhle entfernt. Die beiden haben in Kürze kein Licht mehr. Sie werden sterben, weg sein für immer, so wie Carolina. Weg.
    Landgraf weg. Jury weg.
    Wenn Ally an Jurys Grab steht, wird sie wissen, dass ich es in der Hand gehabt hätte.
    ICH.
    Und ich sitze hier und lechze nach einem Messer, um an mir rumzuritzen. Ich muss vollkommen verrückt sein, irre. Mir wird

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