Luegenprinzessin
Referat über Tirol auf Englisch zu halten. Doch selbst die Aussicht darauf konnte mir den Kuss nicht vermiesen.
Wir versammelten uns vor dem Jungszelt, alle mit den Rucksäcken am Rücken und einem Plastikbehälter in der Hand.
Felix wollte gerade seinen Rucksack schultern, als Chris ein lautes »Scheiße, Mann!« entfuhr.
Erstaunt blickten wir ihn an. Chris starrte auf Felix’ Rucksack, der im selben Augenblick auf den Boden polterte. Felix hatte ihn fallen lassen und verzog angeekelt sein Gesicht.
»Auf deinem sind sie auch überall«, rief er und zeigte auf Chris’ Rucksack, der noch auf dem Boden stand.
»So, was in Herrgotts Namen ist denn nun schon wieder passiert?« Mr Bean warf einen teilnahmslosen Blick auf die beiden Rucksäcke und hüpfte dann erschrocken zurück. Überall waren Ameisen. Alle rissen sich nun ihre Rucksäcke von den Schultern und inspizierten sie panisch. Aber betroffen waren nur Felix und Chris.
»Ihr habt die in einen Ameisenhaufen gestellt.« Für Mr Bean schien die Angelegenheit damit erledigt zu sein. Für Felix jedoch nicht. »Stimmt nicht. Die lagen die ganze Zeit hier vorm Zelt, neben allen anderen.«
»Dann ist euch da drin wahrscheinlich irgendein süßer Saft ausgelaufen.«
»Ich trinke nie süße Säfte«, berichtigte Chris beleidigt.
Felix runzelte die Stirn. »Mein Rucksack klebt aber wirklich. Innen und außen. Das riecht wie Kirschsaft.«
»Trinke ich nie.«
»Ich auch nicht, du Depp. Das hat uns jemand draufgeschüttet.«
»So, jetzt wollen wir aber die Kirche im Dorf lassen und lieber vor der eigenen Haustür kehren, bevor wir es jemand anderem in die Schuhe schieben. Verstanden, die Herren?«
Felix machte den Mund auf. Rasch drückte ich seinen Arm und machte: »Pscht.« Ich hörte ihn tief einatmen.
Bieninger sah genervt auf seine Uhr. »So, ich geb euch zehn Minuten, dann habt ihr die Schweinerei beseitigt, klar?«
Leise fluchend trat er den Weg zu Norberts Haus an.
»Scheißkerl!«, entfuhr es Felix.
»Ich weiß«, murmelte ich beschwichtigend. »Äh, Herr Bieninger, warten Sie mal bitte! Wir würden nämlich gerne mitkommen. Ich schätze, fließendes Wasser wäre nicht schlecht, um den Schaden zu bereinigen.«
Mich nervte mein eigener schleimiger Tonfall gegenüber Mr Bean, aber der Kerl war ja anders nicht zu packen.
Als wir eine Viertelstunde später endlich losgingen, nahm Vero mich beiseite. »Sag, seit wann läuft das denn mit dir und David?«
»Noch nicht so lang. Aber es ist auch gar nichts Ernstes.«
»Und warum hast du dann mit ihm geschlafen?«
Bildete ich mir das nur ein oder belauschte Joe uns? Sie ging schräg vor uns und sah ständig zur Seite, sodass ihr eines Ohr in unsere Richtung zeigte.
»Einfach so, ich weiß es nicht«, antwortete ich leise auf Veros Frage. Dann einem plötzlichen Impuls folgend, meinte ich: »Oje, Vero, macht es dir was aus?«
Sie warf mir einen verständnislosen Blick zu. »Dass du mit David schläfst? Wieso sollte es?«
»Na ja, weil du und er…«
Es dauerte anscheinend, bis sie begriff. Dann aber lachte sie. »Bist du bescheuert? Das mit ihm und mir war erstens nur eine Kinderei und zweitens ist es so lange her, dass ich es ehrlich gesagt vergessen habe. Nein, das Einzige, was mich stört, ist, dass du es mir nicht erzählt hast. Erst vor zwei Wochen hast du noch gesagt, dass du, wie es aussieht, dein Leben lang Jungfrau bleiben wirst. Wie ich im Übrigen auch«, fügte sie leise hinzu. Und dann noch leiser: »Ich nämlich wirklich.«
Wie gerne hätte ich ihr gesagt, dass ich sie nur zu gut verstand und immer noch genauso fühlte wie sie. Unser Gespräch vor zwei Wochen war verdammt tröstend gewesen. Danach hatte es mir plötzlich gar nichts mehr ausgemacht, womöglich noch ewig aufs erste Mal zu warten. Warum, zum Teufel, hatte ich letzte Nacht nur so einen Schwachsinn erzählt? Jetzt konnte ich nie wieder so schön mit Vero zusammen leiden wie vor zwei Wochen.
Ich legte einen Arm um sie. »Ach, Vero, ich weiß, ich wiederhole mich, aber du bist und bleibst meine wunderschöne Vero und die Männer werden bald Schlange stehen bei dir.«
»Meinst du das ernst?«
Ich nickte. »Vollkommen.« Was zur Abwechslung mal keine Lüge war.
Der Fluss lag in der entgegengesetzten Richtung des Sees, doch um dorthin zu gelangen, musste man ebenfalls durch ein Waldstück gehen. Genau genommen mussten wir uns durchs Dickicht schlagen, einen richtigen Weg, auf dem man gehen konnte, gab es nicht. Zu allem
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