Luegenprinzessin
überhaupt nichts okay war. »Tut mir voll leid, Diana. Ich war plötzlich wie paralysiert, ich konnte mich nicht mehr bewegen.«
Sie nickte lange, wobei sie mich keine Sekunde aus den Augen ließ. »Und? Gibst du jetzt endlich zu, dass du noch nie klettern warst?«
»Nein«, entfuhr es mir empört. »Ich meine, natürlich war ich schon klettern.«
»Mhm. Und da hattest du noch keine Höhenangst?«
Ich suchte nach Worten, doch sie erbarmte sich meiner und sagte: »Na komm, Vero und ich verarzten deine Hüfte.«
Der Abend brachte auch nicht mehr Glück. Der Ausflug zum See und somit auch meine Rolle als Köder musste auf die nächste Nacht verschoben werden. Und das nur, weil Mr Bean beschlossen hatte, mit seinen Spielkarten bei den Jungs vorbeizuschauen, wo er bis zwei Uhr morgens hocken blieb.
Im Lauf des Abends schickten wir immer wieder Lauschposten zum anderen Zelt hinüber, doch jede kam mit einem resignierten Kopfschütteln zurück. Irgendwann wurde dann die Flasche Tequila geöffnet, wobei es mich schon beim Geruch schüttelte. Dafür trank Vero heute mit. Nach dem ersten Glas holte Joe eine kleine Spraydose aus ihrem Rucksack und stellte sie neben ihren Schlafsack. »Pfefferspray«, erklärte sie. »Ich lass ihn hier stehen, vielleicht braucht ihn ja eine von euch, wenn sie nachts aufs Klo geht. Mir ist jedenfalls wohler, wenn ich so was dabeihab.« Ich fragte mich, was sie meinte. Hatte sie etwa Angst, dass sie auch Opfer einer Attacke werden konnte?
Gegen ein Uhr kroch ich in meinen Schlafsack, stocknüchtern, aber total erschöpft. Ich nahm mir fest vor, nicht einzuschlafen, um mich nicht schutzlos auszuliefern, nur ein kleines bisschen ausruhen wollte ich mich. Ich legte die Hände vors Gesicht und schloss die Augen. Nur ganz kurz.
Als ich sie wieder öffnete und auf die Leuchtziffern meiner Armbanduhr blickte, war es kurz vor drei. War ich also doch eingepennt. Argwöhnisch rieb ich mir über die Stirn, danach über den Rest meines Gesichts und schnüffelte dann an meinen Händen. Wieso hatte ich nicht wach bleiben können, dann müsste ich mir jetzt keine Sorgen machen? Vielleicht hätte ich den Psycho sogar auf frischer Tat erwischt. Das wäre die Idee gewesen! Vero, Diana und ich hätten uns heimlich absprechen und hintereinander Wachdienst schieben sollen. Nur waren wir alle so fixiert auf den Ausflug zum See gewesen, dass wir gar keinen Alternativplan geschmiedet hatten.
Ich merkte, dass ich aufs Klo musste, und setzte mich auf. Leise schlüpfte ich aus dem Schlafsack. Wenn es nur nicht so stockdunkel gewesen wäre. Mit den Händen tastete ich mich voran, bahnte mir kriechend meinen Weg durch die schlafenden Körper. Hin und wieder war leises Schnarchen oder sogar Murmeln zu hören. Endlich gelangte ich zum Ausgang und schob mich erleichtert durch die beiden Kunststoffschichten nach draußen. Die Nacht war erfrischend kühl und ihr Duft rein und erdig. Ich saugte ihn sehnsüchtig ein und fühlte mich augenblicklich besser. Weniger verzagt, positiver, stärker. Mit der Gewissheit, dass alles gut werden würde, machte ich mich auf den Weg zum Klohäuschen. Ich fühlte mich plötzlich so befreit, weshalb, wusste ich selbst nicht so genau. Nicht einmal die Tatsache, dass die Glühbirne im Klo den Geist aufgegeben hatte, konnte meine Laune trüben. In kompletter Finsternis angelte ich nach Klopapier, wischte damit auf gut Glück über die Brille und setzte mich anschließend drauf. Selbst hier roch es nachts frischer als untertags. Ich hing ein bisschen meinen Gedanken nach – bis ein plötzliches Geräusch mich zusammenfahren ließ. Erschrocken hielt ich inne, lauschte. Nichts. Ich spülte runter und öffnete die Tür. Da war es auf einmal wieder. Ich hielt die Luft an, drückte mich in das enge Hüttchen zurück. Irgendetwas kratzte von außen an der hinteren Wand. Irgendetwas… oder irgendwer.
»Hallo?«, fragte ich zaghaft und wünschte mir, ich hätte Joes Pfefferspray mitgenommen. Einen Moment herrschte Ruhe, dann begann es von Neuem. Das war doch sicher nur irgendein Tier. Eine Ratte, ein Fuchs vielleicht, nichts Schlimmes. Energisch trat ich aus der Hütte und schmiss die Tür zu. Ich wollte gerade um die Ecke biegen, um den Lärmverursacher zu stellen, da drang plötzlich ein völlig neues Geräusch an meine Ohren. Schritte. Schleifende Schritte, wie von jemandem, der ein Bein nachzieht. Adrenalin schoss in meine Adern. »Oh Gott!« Meine Stimme war nur ein Flüstern, doch deutlich
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