Luegenprinzessin
ihr ein bisschen, denn das mit den Gurten wird im Ausland ja teilweise anders gehandhabt.«
Norbert nickte und erklärte laut: »Schaut gut hin, wie der Willi der Mia den Gurt anlegt. Nur mit einem richtig angelegten Gurt ist eure Sicherheit gewährleistet.«
Ich hatte keine Ahnung, ob die ungarischen Gurte tatsächlich anders funktionierten, aber in meinem Inneren dankte ich Willi tausend Mal. Die Quaks fanden es weniger toll, dass er vor mir kniete und an meinen Hüften herumfummelte, das sagten ihre Blicke deutlich. Und Felix hatte plötzlich auch ein ganz versteinertes Gesicht. Ich hätte vieles gegeben, jetzt seine Gedanken lesen zu können. Da schoss mir ein Gedanke durch den Kopf, der so unsinnig war, dass ich ihn gleich wieder zu verdrängen versuchte. Aber er ließ sich nicht einfach so wieder verjagen. Was, wenn Felix wirklich in mich verliebt war? Was, wenn auch er dachte, dass ich auf Willi stehe? War es möglich, dass er eifersüchtig war oder, noch schlimmer, mich womöglich für eine Schlampe hielt? Schlampe. Bitch. Nein, nicht Felix. Unmöglich. Oder?
»Auf geht’s!«, verkündete Norbert. »Nach dir, Mia.«
Mist! Ich hatte gehofft, nach dem Debakel mit dem Gurt würde Norbert zur Vernunft kommen und kapieren, dass ich nicht als Anführerin einer Klettergruppe infrage kam.
Beklommen setzte ich meinen Fuß auf die unterste Sprosse der Leiter. Und dann den anderen Fuß auf die nächste Sprosse. Nicht runterschauen, Mia, nicht runterschauen… Doch die Gefahr, dass ich hinuntersah, bestand gar nicht, mein Nacken spielte nämlich nicht mit. Er wurde so stocksteif, dass ich meinen Kopf gar nicht senken konnte. Sprechen konnte ich auch nicht mehr – wie im Winter auf dem Skilift, wenn der Kiefer eingefroren war. Oder es mir zumindest so vorkam, sobald ich auf dem Sessellift saß. Ich hatte immer gedacht, dass das an der Angst lag, die Skier in der Luft zu verlieren. Doch so war es gar nicht. Ich hatte wohl eher Angst, mein Leben zu verlieren.
»So, Mia, nur immer mutig voran. Du führst die Mannschaft an, ich bin das Schlusslicht. Der Willi reiht sich zwischendurch ein und hilft, wo es nötig ist. Nach der Hängebrücke mach bitte kurz halt, damit die Gruppe sich sammeln kann. Und Mia? Nicht zu hurtig, ja? Wichtig ist bei allen Touren, egal ob am K2 oder im Kletterpark, dass die Gruppe nur so schnell sein kann wie ihr langsamstes Glied. Alles klar?« Er gab mir einen Klaps auf die Schulter, der sicher freundschaftlich gemeint war. Am liebsten hätte ich zu heulen angefangen. Hey, ich bin echt nicht unsportlich, na ja, auch nicht besonders sportlich, aber ich kann schnell schwimmen, gut Rad schlagen und immerhin drei Schritte auf den Händen gehen. Und hätte sich dieser ganze Kletterpark in einer Höhe von einem halben Meter befunden, dann wäre das ein Kinderspiel für mich gewesen. Da war doch echt nichts dabei, über die paar wackligen Bretter zu gehen und ein bisschen auf einem Seil zu balancieren, noch dazu, wenn man weiter oben sogar ein zweites Seil zum Festhalten hatte. Ehrlich, ich verstand gar nicht, wieso Norbert und Bieninger so ein Theater deswegen machten, jedem Kleinkind hätte ich so etwas zugetraut.
Wenn nur die Höhe nicht gewesen wäre.
»Na, Mia, auf geht’s!«
»Klar«, murmelte ich und überlegte, ob ich es irgendwie schaffen konnte, mir selbst einen Finger zu brechen, um einen triftigen Grund zu haben, auf den sicheren Erdboden zurückzukehren.
In dem Moment fiel mein Blick auf David, der hinter Joe stand. Ich nickte mir selbst Mut zu. Du schaffst das und du wirst eine verdammt gute Figur dabei abgegeben!
Ich stieg aufs untere Seil, packte das obere mit den Händen und wagte den ersten Schritt.
»Hey, Mia, Karabiner einhängen!«
»Oh!« Scheiße. Karabiner, Karabiner, das war wohl diese Schnalle. Ich öffnete sie und hängte sie an der Stelle ein, die Norbert mir gnädigerweise zeigte. Der Typ musste mich mittlerweile für selten dämlich halten. So, jetzt aber. Ich holte Luft und stob drauflos, das musste ich tun. Wenn ich es langsam versucht hätte, dann hätte mich nach dem ersten Drittel die Feuerwehr runterholen müssen.
Ich hatte es tatsächlich auf die andere Seite geschafft und stand nun auf einer Plattform, auf der man per Leiter weiter nach oben stieg. Ich schloss die Augen, stellte mir vor, das wäre unsere kleine Küchenleiter zu Hause, und erklomm die nächste Plattform.
Und dahinter… hach, was war das? Hoch oben verlief das Seil zum
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