Luegenprinzessin
dich, garantiert«, sagte ich, aber es klang matt und nicht sehr überzeugend.
Als Bieninger um acht Uhr seine morgendliche Weckrunde veranstaltete, »Morgenstund hat Gold im Mund!«, war die andere Hälfte meiner Haare auch ab und ausgerechnet Quen war diejenige gewesen, die es fertiggebracht hatte, das Unmögliche möglich zu machen und mir einen halbwegs annehmbaren Kurzhaarschnitt zu verpassen. Trotzdem erkannte ich mein eigenes Spiegelbild kaum. Mir das Einzige zu nehmen, das mir hie und da ein Kompliment einbrachte, war echt gemein. Ich schluckte schwer, doch dann fiel mein Blick auf die arme Vero, die so tapfer die Schmerzen weggesteckt hatte. Ihr Gesicht war zumindest so weit wiederhergestellt, dass man sie für eine liebeskranke Teenagerin halten konnte, die die ganze Nacht durchgeheult hatte. Weil Vero das maßlos peinlich war, wurden die Jungs in Windeseile informiert, dass sie keine jämmerlicher Heulsuse, sondern ein heldenhaftes Pfefferspray-Opfer war. Chris und Felix wirkten regelrecht geschockt. Sowohl von der Attacke gegen Vero als auch von meinem neuen Look. »Okay, jetzt ist Schluss mit lustig. Jetzt gehört die Polizei informiert«, stellte Chris klar. »Spätestens jetzt.«
»Das können wir aber nur über Bieninger laufen lassen, und der glaubt uns kein Wort«, erklärte ich frustriert.
Felix betrachtete noch mal meine Frisur. Ich blinzelte nervös. Als er sich schließlich davon losriss und unsere Augen sich trafen, schoss ein minimales Kribbeln in meinen Bauch. Als hätte er es bemerkt, verzog sich sein Mund zu einem kleinen Lächeln, bevor er rasch den Blick abwandte. »Warum seid ihr nicht sofort zu Mr Bean, nachdem das mit Vero passiert ist?«, fragte er fast grob. »Ich nehme an, sie hat ziemlich schlimm ausgesehen direkt danach, er hätte euch glauben müssen.«
Ich kaute auf meiner Unterlippe herum.
»Was?«, fragte Felix. »Jetzt sag nicht, ihr habt euch schon wieder besoffen!«
Ich kaute weiter.
»Ihr miesen kleinen Alkoholikerinnen«, feixte er. »Unsereins darf mit Mr Bean UNO spielen und ihr habt den Spaß eures Lebens da drüben.«
Jetzt reichte es. »Was nennst du Spaß? Dass Vero höllische Schmerzen ertragen muss? Dass ich das Einzige, was ich an mir mag, verloren hab? Oder dass wir uns da drüben seit Stunden gegenseitig anfeinden und keine mehr der anderen traut? Was ist jetzt der große Spaß daran?«
Zur Abwechslung sah er mal richtig perplex drein.
Hilflos hob ich die Arme. »Verdammt«, sagte ich dann. »Wir hätten Mr Bean trotzdem holen müssen. Wer weiß, was der Psychopathin als Nächstes einfällt.«
»Psychopath in?«
»Muss es doch sein. Erstens wussten nur wir Mädels, wo Joe das Spray aufbewahrt, und zweitens hätte es kaum jemand von draußen sein können. Vero hätte doch bemerkt, wenn jemand weggerannt wäre.«
»Das kommt drauf an, wie sehr sie außer Gefecht gesetzt war«, gab Felix zu bedenken. »Wie viel hatte sie eigentlich getrunken?«
Bevor ich antworten konnte, dass ich wirklich nicht wüsste, was das jetzt zur Sache tat, bemerkte Chris: »Die Statistik belegt, dass bei Weitem mehr Frauen als Männer Pfefferspray benutzen.«
Der Nächste, dem ich am liebsten eine gescheuert hätte.
»Hör doch endlich auf mit dem Scheiß«, fauchte ich ihn an. »Vero hätte blind sein können oder für immer entstellt und du laberst noch immer von Statistiken! Ich kann dieses Geschwafel nicht mehr hören! Wir müssen was tun, kapierst du das nicht?«
Chris’ Adamsapfel hüpfte, das war die einzige Reaktion, die sein Körper zeigte. In dem Moment, in dem ich mich für die Heftigkeit meines Ausbruchs entschuldigen wollte, drehte er sich um und rannte davon. Felix hob die Augenbrauen. Chris rannte nie freiwillig.
Ich senkte den Kopf, ließ die Schultern fallen. Mein Auftritt war mir peinlich, vor allem auch vor Felix, der bestimmt schon überlegte, welchen möglichst unpassenden Scherz er als Nächstes anbringen konnte.
»Das war ganz schön hart von dir, Mia«, sagte er.
»Das weiß ich selbst.« Ein unpassender Scherz wäre mir lieber gewesen.
Ich wartete darauf, dass er ging, aber er zögerte. »Was?«, fragte ich schließlich.
Er räusperte sich. »Kann schon verstehen, dass dir das mit deinen Haaren an die Nieren geht, aber –«
»Es geht um Vero und das Pfefferspray!«
»– du siehst auch so gut aus.« Jetzt ging er endlich. Ich starrte ihm nach.
Ich wollte gerade das Haus betreten, um zu frühstücken, da kam Joe um die Ecke. Aus einem
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