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Luegnerin

Luegnerin

Titel: Luegnerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justine Larbalestier
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er mich von der Schule abgeholt und trug dabei seinen Smoking, in dem er geheiratet hat, und sah aus wie James Bond. Der Chauffeur war ihm gegenüber
respektvoll, scherzte aber auch mit ihm herum. Ständig sagten sie »hey man« und »brother«. Sie hatten entdeckt, dass sie beide Isaiah hießen, und machten Witze über ihre super strengreligiösen Eltern. (Eltern, die Dad überhaupt nicht hat. Die Oldies gehen nie in die Kirche.)
    »Wer ist das?«, fragte Chantal, als Dad zu mir herüberwinkte. Ich sah, wie Sarah und Zach ihre Blicke zu meinem Dad und dann zu mir zurückwandern ließen.
    »Mein Dad«, sagte ich.
    Sie schaute mich von der Seite an, so als könnte sie aus diesem Blickwinkel die Wahrheit besser erkennen. »Nie im Leben«, sagte sie.
    Ich lächelte.
    »Mann, ist der cool. Was macht er?«
    »Dies und das«, sagte ich.
    »Was denn genau?«, fragte Chantal und ließ Dad nicht aus den Augen, der nun auf uns zukam.
    »Ich muss«, sagte ich und ging zu Dad hinüber. Er küsste mich auf die Wange.
    »Beeil dich«, sagte er zu mir und scheuchte mich in die Limo. Zu meiner Erleichterung sah ich, dass der kleine Mistkerl von Bruder noch nicht dort drinnen war. Ich genoss es, wie Chantal und die anderen uns hinterhersahen.
    »Wen holen wir noch ab?«
    »Keinen«, sagte er. »Ich dachte, wir fahren noch ein bisschen durch die Gegend.«
    »Und tragen damit weiter zur Erderwärmung bei. Geht dir der Klimawandel nicht schnell genug, Dad?«
    »Steig doch aus und lauf zu Fuß.«
    »Geht nicht«, erwiderte ich. »Die schauen uns zu.«

    »Das hier ist Isaiah. Ja, genau wie ich. Er hat beinahe mal den Weltmeistertitel im Mittelgewicht geholt. Damals, in den Neunzigern. Stimmt’s?«
    Wir rutschten beide näher zu Isaiah hin. Dad wiederholte das mit Isaiah und dem Boxen.
    »Genau«, sagte Isaiah und nickte. »Du musst Micah sein. Dein Dad sagt, du wärst nicht ohne. Stimmt das?«
    »Nee«, sagte ich. »Mein Bruder ist der Schlimme.«
    »Sie sind beide missraten«, sagte Dad und tätschelte mir den Kopf, weil er genau wusste, wie sehr ich das hasse.
    »Dad!«, protestierte ich.
    »Ich bin gestraft«, erklärte er Isaiah, der ihm verständnisvoll zunickte.
    »Wer ist schon so verrückt, sich Kinder zuzulegen«, sagte Isaiah lachend. »Meine können einen auch ganz schön auf Trab halten. Aber bisher ist noch keiner von ihnen im Gefängnis gelandet und das sehe ich schon als Segen an.«
    Dann fingen sie an, übers Boxen zu reden. Dad erzählte Isaiah von seiner Karriere als Leichtgewicht. Leichtgewicht war schon richtig, aber nur, wenn man den Teil mit dem Boxen wegließ. Dad sagte sonst gern, dass er »gegen jede Art von Gewalt« sei. Soweit ich wusste, hatte er niemals jemanden geschlagen. Noch nicht einmal mich. Obwohl er das ganz sicher manchmal gerne getan hätte.
    »Ich bin ausgestiegen, bevor es zu spät war«, sagte Isaiah. »Wollte noch ein bisschen von meinem eigenen Grips behalten.« Dabei tippte er sich an die linke Schläfe, um zu zeigen, dass da noch immer etwas drin war. »Ich kann rechnen und lesen, und ich weiß, wer Präsident ist. Das ist viel mehr als bei den meisten Kumpels, mit denen ich damals zusammen war.«

    Dad nickte verstehend.
    »Dad ist ausgestiegen, nachdem seine Nase eingeschlagen wurde«, sagte ich, und Isaiah warf im Rückspiegel einen prüfenden Blick auf Dads Nase. Den schiefen Knubbel in deren Mitte hatte Dad seinem ältesten Cousin Cal zu verdanken. Zumindest war das die Geschichte, die ich am häufigsten gehört hatte.
    Dad nickte wieder. »Aber ich hab’s nie besonders weit gebracht. Die Nase ging schon in meinem fünften Kampf drauf.«
    »Gut gemacht«, sagte Isaiah. »Und jetzt sehen Sie mal, wie weit Sie es gebracht haben. Jetzt fahren Sie in einer Limo durch die Gegend.«
    Dad lachte. »Ist ja nur eine Testfahrt.«
    »Aber immerhin«, sagte Isaiah.
    Am nächsten Morgen in der Schule ließ ich indirekt durchblicken, dass mein Dad ein einflussreicher Mann war. Am Ende des Tages war Micahs Vater, der Waffenhändler, daraus geworden.
    Das ließ ich unwidersprochen, bestätigte es aber auch nicht.

NACHHER
    Die Polizei vernimmt alle Schüler aus Zachs Klassenstufe. Der Kunstsaal wird zu einem Verhörzimmer umfunktioniert. Ich bin eine der Ersten, die sie aufrufen. Ich frage
mich, warum. Ich bin eine Wilkins, es kann also nicht alphabetisch sein.
    Als die Polizistin meinen Namen sagt, stehe ich auf und gehe langsam aus dem Englischunterricht. Alle schauen mich an. Auch der Lehrer. Ich

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