Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Luegnerin

Luegnerin

Titel: Luegnerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justine Larbalestier
Vom Netzwerk:
konnten? Dass es so etwas wie Rasse eigentlich gar nicht gab? Ich schaute mich im Raum um und sah viele verwirrte Gesichter. Alle außer Brandon, der auf seiner Hand herumkritzelte.
    »Das Unternehmen sucht nach Markern in unserer DNA, die sie als afrikanisch, asiatisch, europäisch oder
indianisch identifiziert haben. Aber weil noch wenig der auf der ganzen Welt vorhandenen DNA erfasst und kartiert wurde, ist die Wahrscheinlichkeit eher gering, dass sie die Marker in eurer DNA richtig identifizieren. Angenommen sie identifizieren einen deiner Marker als afrikanisch. Dann bedeutet das nichts anderes, als dass sie euren noch nicht erfassten Marker aus einem anderen Teil der Welt mit ihrem erfassten Marker irgendwo aus Afrika identifizieren können.«
    »Bedeutet das, dass es gar nicht stimmt, wenn der Test behauptet, man hätte afrikanische DNA?«, fragte Sondra. Sie ist sehr hellhäutig. Sogar heller als Chantal und mehrere Schattierungen heller als ich. Weiße halten sie normalerweise für weiß, trotz ihrer wilden Locken und der vollen Lippen. Sie hatte zuvor ebenso wie Zach und ich kein Wort gesagt.
    »Mit Sicherheit«, sagte Yayeko entschieden. »Wenn wir den Test von einem anderen Unternehmen durchführen lassen würden, das anderes Datenmaterial verwendet, dann würden sich auch eure Ergebnisse verändern. Biologisch gesprochen haben die sogenannten Rassen mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede. Es gibt nur eine einzige Rasse: die menschliche Rasse. Sichelzellenanämie wird manchmal auch als ›schwarze‹ Krankheit bezeichnet, weil sie bei Menschen afrikanischer Herkunft gehäuft auftritt, aber sie ist auch im Mittelmeerraum, im Mittleren Osten und Indien relativ häufig anzutreffen. Wir gehören alle derselben Rasse an. Und momentan steckt in alldem, was ihr über eure Vorfahren und euer kulturelles Erbe wisst, höchstwahrscheinlich mehr Wahrheit als in irgendwelchen von diesen Testergebnissen. Das wird sich möglicherweise
ändern, wenn wir einmal so weit sind, dass die gesamte DNA der Welt erfasst und kartiert ist. Aber momentan seid ihr genau das, für das ihr euch haltet.«
    Ich dachte an meine Familie und merkte, wie ich nickte. Genau wie Sondra. Ich habe ihre Eltern gesehen. Im Gegensatz zu meinen sind sie beide schwarz. Ich fragte mich, wie mein DNA-Test wohl aussah, aber dennoch öffnete ich auch an jenem Abend den Umschlag nicht.

FAMILIENGESCHICHTE
    Jordan und ich?
    Wir hassen uns. Er findet, man sollte mich in einem Käfig einsperren; ich finde, er hätte nie geboren werden sollen.
    Ihr haltet das für übertrieben? Schließlich behaupten Geschwister oft, sie würden sich hassen, aber sie meinen es gar nicht so.
    Dann liegt ihr falsch. Wir hassen uns. So wie Kain und Abel. Es passiert oft, dass Geschwister kämpfen und sich gegenseitig umbringen. Ich hab von Brüdern gelesen, die auf entgegengesetzten Seiten des Amerikanischen Bürgerkriegs gekämpft haben. Gekämpft und sich gegenseitig getötet.
    Mit Jordan ist es noch schlimmer als das. Es ist nicht so, dass wir unterschiedliche Überzeugungen hätten, sondern er riecht einfach nicht richtig. Mit Jordan stimmt was
nicht. Ich glaube, er ist missraten, ein schwarzes Schaf, aber Mom und Dad wollen es nicht glauben. Er beklaut mich. Schleicht sich in mein Zimmer und nimmt Sachen. Ich hab ihm gesagt, dass ich ihn umbringe, wenn er es noch einmal tut.
    Also hat er Zachs Pulli genommen.

NACHHER
    Ich liebe meine Mutter mehr als meinen Vater, obwohl ihre gebrochene, unamerikanische Sprechweise manchmal peinlich ist. Aber sie meckert nicht ständig an mir rum, so wie er es tut. Sie ergreift nicht immer für Jordan Partei.
    Beim Frühstück fängt Dad wieder davon an, dass ich aufs Land zu den Oldies fahren sollte. Wir sind alle vier in unsere winzige Küche gequetscht und sitzen um den Tisch, der nicht viel größer ist als ein Pult in der Schule. Der Platz reicht kaum für unsere vier Teller. Unsere Fahrräder hängen senkrecht über unseren Köpfen, weil es keinen anderen Ort für sie gibt. Wenn ich zu schnell aufstehe und vergesse, dass sie da sind, haue ich mir den Kopf an. Blöderweise ist Jordan noch zu klein, um sich zu stoßen. Aber er wird wachsen.
    Wenn ich den rechten Arm ausstrecke und über Jordan hinweggreife, kann ich fast den Kühlschrank erreichen. Wenn wir am Küchentisch sitzen, kann man die Tür zur
Vorratskammer nicht mehr öffnen. Meine Füße sind unter meinen Stuhl geklemmt, weil unter dem Tisch die Küchenmaschine, die

Weitere Kostenlose Bücher