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Luegnerin

Luegnerin

Titel: Luegnerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justine Larbalestier
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Licht anmache, kann ich riechen, dass sie hier gar nichts verändert haben. Weder das Bett abgezogen noch die Bettwäsche gewechselt. Sie haben nichts angerührt. Es ist, als wäre Zach noch immer hier. Fast habe ich Angst zu atmen, um nicht seinen Atem durch meinen zu ersetzen.
    Meine Augen gewöhnen sich an die Dunkelheit, auch meine Ohren. Ich höre den Verkehr von der Straße unten. Einen Hubschrauber von oben. In der Wohnung nebenan schreit jemand. Aber hier ist keiner außer mir.
    Der Klamottenhaufen erstreckt sich bis in die Mitte des Zimmers. Dem Geruch nach müssen es Sportklamotten sein: salzig und scharf und Zach.

    Als ich am Bett vorbeigehe, schaue ich nicht hin, weil ich nicht daran denken will, was dort ist und was nicht und was dort war. Ich schmeiße Wasserflaschen um. Sie sind alle mindestens halb voll. Wasser rinnt über den Boden. Ich bücke mich und stelle sie wieder hin, wobei ich die Augen auf die Flaschen richte, nicht aufs Bett.
    Meine Augen brennen. Ich schlucke. Ich bin aus einem bestimmten Grund hier, rufe ich mir in Erinnerung, aber ich schaffe es einfach nicht aufzustehen.
    Der Schreibtisch ist bedeckt mit Zetteln und Büchern. Die sollte ich mir ansehen. Mir schnürt sich die Kehle zusammen. Ich war nicht mehr in diesem Zimmer, seit Zach verschwunden ist. Ich schlucke wieder, richte mich auf, schließe die Augen und zwinge sie, trocken zu bleiben. Ich konzentriere mich auf die Gerüche. Auf das Zach-Zeug. Zach-Gestank. Zach-Schweiß. Zach-Schmutzsocken. Zach-Fleisch. In mir zieht sich etwas zusammen. Fleisch ist das, was Zach jetzt ist. Fleisch ist eine Bezeichnung für einen Menschen, wenn er tot ist.
    Ich weiß nicht recht, warum ich eigentlich hier bin. Ich wusste es, als ich anfing, die Feuerleiter hochzuklettern. Ich versuche, mir dieses Wissen ins Gedächtnis zu rufen.
    Hatte ich gehofft, ihn hier zu finden?
    Er ist nicht hier. Hier sind nur sein Geruch, seine Hautschuppen und ein paar Haare, Kleider, die einmal an ihn gedrückt waren, und Flaschen, aus denen er getrunken hat.
    Hundert Zeichen von dem, was er einmal war, wie er einmal war, aber nicht er selbst.
    Kein Zach.
    Ich mache die Augen auf und trete an seinen Schreibtisch, dabei steige ich ganz vorsichtig über die Kleider.

    Ich knipse die Schreibtischlampe an und blinzele in die Helligkeit. Im ersten Augenblick tanzen schwarze Punkte vor meinen Augen und dann blicke ich auf den Bücherstapel. Das Buch, das mir am nächsten liegt, hat einen schlichten roten Umschlag, auf den mit schwarzem Filzer das Wort TRAINING geschrieben ist. Zachs Handschrift. Sein Trainingstagebuch. Alle Jungs in der Mannschaft müssen so eins führen. Sie sollen darin ihre Fortschritte festhalten, was sie gegessen haben, wie viele Kalorien, wie viel sie wiegen, wie viele zusätzliche Trainingseinheiten sie eingelegt haben, wie viele Spiele sie wie hoch gewonnen haben und ihre ganz persönlichen Daten.
    Ich nehme es in die Hand, schlage die erste Seite auf, es wird mir vermutlich nicht viel sagen. Es kommt mir in den Sinn, dass die Bullen das auch gesehen haben müssen. Dieses Zimmer. Haben sie Sachen mitgenommen und untersucht? Der Gedanke ist schrecklich, obwohl ich nicht genau weiß, warum.
    Ich drehe die Lampe in Richtung Fußboden und setze mich neben den Schreibtisch, mit dem Rücken zum Bett. Ich blättere es durch und versuche, mir das Buch nicht in Zachs Händen vorzustellen, wie er diese Zahlen und Worte hineinkritzelt. Es ist genau wie jedes andere Trainingstagebuch. Kalorien, Kilos, Zahl der Wiederholungen, Punkte, gewonnene und verlorene Spiele. Sein Gewicht bleibt konstant. Er erhöht seine Kalorienzahl. Sein Gewicht rührt sich nicht. Er schreibt sich den Frust über seine mangelnde Körpermasse von der Seele: Shit. Immer noch 68. 69. 69,5. 67,5. 68. Shit. Die Seiten sind alle gleich. Kalorienzahl höher. Gewicht konstant oder sinkend.
Siege und Niederlagen. Punkte und Rebounds und Ballgewinne. Startaufstellung ja oder nein.
    Ein sträflich flatterhaftes Herz.
    Nach mehr als dreißig Seiten steht es auf den linken Rand gekritzelt.
    Ich weiß nicht, was das bedeuten soll. So etwas würde Zach nicht sagen. Er würde es nicht einmal denken. Ich habe diese Worte nie von ihm gehört. Nun ja, »Herz« vielleicht schon, vielleicht auch »sträflich«, aber ganz sicher nicht »flatterhaft«. Das Wort wirkt so altmodisch. Wer würde so etwas sagen? Oder schreiben?
    Ich schaue genauer hin. Es ist eindeutig nicht seine Handschrift. Zu

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