Luegnerin
mochte dunkle Mädels. Echt dunkle Mädels.« Dabei grinst er zu Sarah hinüber. »Micah war gerade noch dunkel genug.«
»Du bist jetzt nicht mehr an der Reihe, Brandon«, sagt Jill Wang.
Ob sie wohl alles gehört hat, was er gesagt hat? Sarah hat es jedenfalls gehört. Sie wirft ihm einen so wütenden Blick zu, als würde sie ihm am liebsten eine scheuern. Ich würde ihn am liebsten umbringen.
Ich bin als Nächste dran. Jill Wang schaut mich an und nickt.
»Ich weiß es nicht«, sage ich. »Ich passe.«
»Fällt dir denn gar nichts ein, was du sagen möchtest?«, fragt Jill. »Wenigstens eine Kleinigkeit? Die Übung funktioniert viel besser, wenn wir alle etwas beitragen.«
Mir fällt viel ein, was ich sagen möchte: Der Geschmack seines Mundes. Sein Geruch, nachdem er gelaufen war. Wie es sich angefühlt hat, mit den Fingern über seinen Bauch zu streicheln. Sarah starrt mich an.
»Micah?«, sagt Jill Wang auffordernd.
»Was Lucy schon gesagt hat. Er war witzig.«
»Andrew?«
Er zuckt die Schultern. »Ich hab den Typ nicht gekannt. Ich weiß nicht mal, warum ich hierherkommen muss.«
»Ihr wart alle im selben Jahrgang wie Zachary. So ein gewaltsamer, unerwarteter Todesfall ist schockierend, ob man ihn nun gut kannte oder nicht.«
»Vermutlich«, sagt Andrew. Er klingt gelangweilt, nicht schockiert. »Ich versuche ja, drüber nachzudenken. Zach war ganz in Ordnung, schätze ich mal.«
»Ich kann eins sagen«, sagt Alejandro. »Außer den Lehrern hat ihn keiner Zachary genannt. Für alle anderen war er entweder Zach oder Z-Man.«
»Z-Man?« Brandon lacht. »Wie blöd ist das denn? Wer hat ihn denn so genannt?«
»Ich«, sagt Tayshawn. »Und die anderen Jungs in der
Mannschaft. Das war respektvoll. Aber das kapierst du eh nicht.«
»Ich fand ihn süß«, sagt Chantal und lächelt Sarah zu. »Ich war irgendwie eifersüchtig auf Sarah. Weil sie sich den, na ja, süßesten Typen der ganzen Schule geangelt hat. Sorry, Sarah.«
Sarah lächelt angespannt zurück. Alle anderen schauen mich an.
Lucy nickt. »Viele von uns fanden ihn süß. Es tut uns allen leid.«
Was tut ihnen leid? Dass Zach tot ist oder dass sie nicht mit ihm anbandeln konnten, bevor er gestorben ist. Ich habe nie gehört, dass Lucy etwas über Zach gesagt hat, bevor er gestorben ist. Sie hat immer nur Tayshawn angeschmachtet. Macht das Totsein Zach etwa noch begehrenswerter?
Sie machen im Kreis herum weiter. Jeder sagt irgendetwas Bedeutungsloses. Am Ende der Sitzung weiß keiner von uns irgendetwas über Zach, was wir nicht auch schon zuvor gewusst hätten.
Er ist immer noch tot, und wir wissen nicht, wie oder wer ihn in diesen Zustand versetzt hat.
FAMILIENGESCHICHTE
Einmal hätte ich Jordan fast umgebracht. Ich weiß nicht mehr, was er getan hatte. Vielleicht war es, als er gepetzt
hatte, dass ich mich nachts die Feuerleiter hinunterschleiche. Oder als er meine Lieblingslaufschuhe von oben bis unten vollgekritzelt hatte. Petzen, Klauen, Zerstören – das sind Jordans Lieblingsbeschäftigungen.
Aber eines Tages ging das, was er angerichtet hatte, einfach zu weit. Ich stand da und schaute auf die zerbrochenen Reste oder die Asche oder was immer es war und beugte mich drohend über ihn. Ich ballte die Fäuste, bereit, ihn gegen die Wand zu schleudern, seinen Schädel zu zerschmettern,sodass die Splitter in sein Hirn drangen und ich sah, wie das Blut aus seiner Nase spritzte und wie seine Augen flatterten, nur noch das Weiße da war, der Kiefer lose, die Zunge heraushängend. Wie er fiel, zuckte, erstarrte.
Ich konnte an seinen Augen ablesen, dass er wusste: Ich war bereit dazu. Er war starr vor Schreck und zitterte. Er schrie oder weinte nicht. Oder er wusste schon, dass es keinen Unterschied machen würde. Selbst wenn Mom oder Dad zu Hause gewesen wären, was nicht der Fall war, wären sie nicht mehr rechtzeitig gekommen. Sie hätten es nicht verhindert. Wer weiß, ob sie es überhaupt gekonnt hätten. Ich war schon seit Jahren stärker als sie.
Ich zog meinen rechten Arm zurück, um ihm die Nase quer übers Gesicht zu schlagen und ihn an die Mauer zu schmettern.
Aber ich tat es nicht.
Ich distanzierte mich von meiner Wut. Ich riss ihn nicht Glied um Glied in Stücke.
Ich wäre nicht so einfach davongekommen. Selbst wenn Mom und Dad fort waren – die Wände zwischen den Wohnungen sind nicht so dick. Wenn er geschrien hätte, dann hätte ihn auch jemand gehört.
Ich ging in mein Zimmer, schloss die Tür und setzte mich
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