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Luegnerin

Luegnerin

Titel: Luegnerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justine Larbalestier
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war. Sie lachten mich nicht mehr so viel aus, und ich machte mich nicht mehr darüber lustig, dass sie so alt waren wie ich und nicht einmal so gut lesen konnten wie mein kleiner Bruder.
    Als Dad mich ins Haus rief, spielten wir gerade Fußball auf einem abgeernteten Acker, auf dem zuvor Mais gewachsen war und der nun brach lag.
    Ich spielte weiter. Meine Cousinen und Cousins hielten inne, wechselten Blicke und schauten mich an. Als hätten
sie gewusst, was Dad wollte. Ich trat den Ball in Richtung der beiden Blechdosen, die das Tor markierten, aber obwohl der Torwart nicht aufpasste, schoss ich daneben.
    »Micah!«, rief Dad noch einmal. Ich lief langsam in seine Richtung und schaute dabei zu meinen Cousins zurück. Sie wussten etwas, das ich nicht wusste. Ich wollte, dass sie es mir sagten. Ich wollte weiterspielen. Stattdessen folgte ich Dad durch die Bäume und ins Haus.
    Großmutter und Großtante Dorothy saßen vor dem Kamin. Ihr Hund, Hilliard, lag zu einer silbergrauen Kugel zusammengerollt zu Großtante Dorothys Füßen. Seine weiße Schnauze mit dem braunen Streifen, der oben auf seinem Kopf begann und bei seiner schwarz glänzenden Nase endete, lag auf seinen Pfoten. Er hob den Kopf und blickte mich an und legte ihn dann wieder ab.
    Dad setzte sich auf den Stuhl neben dem Sofa. Ich setzte mich auf die andere Seite gleich neben das Feuer. Mir war trotz meiner vielen Haare kalt.
    »Du weißt, dass wir eine Krankheit in der Familie haben«, sagte Dad.
    Ich nickte, obwohl das eigentlich keine Frage gewesen war. Ich zeigte nicht auf meine behaarten Arme und machte auch keine sarkastische Bemerkung.
    Großmutter und Großtante Dorothy schnalzten missbilligend mit der Zunge. Mir war nicht klar, ob sie damit Dad meinten oder mich.
    »Ja, also«, sagte Dad. »Und diese Krankheit ist nicht ganz so, wie wir bisher gesagt haben.«
    Die beiden Alten räusperten sich lautstark.
    »Sie ist erst zehn«, sagte Dad. »Ich muss es ihr schonend beibringen.«

    »Was musst du mir schonend beibringen?«, fragte ich, ein klein wenig genervt, weil er mich als »erst zehn« bezeichnet hatte. Dad wusste, dass ich nicht blöd war. Es stimmte zwar, dass ich nicht so besonders gute Noten hatte, aber was konnte man auch erwarten, wenn man ständig von einer Schule in die andere wechselte? Er hielt einfach gerne Tatsachen zurück. Und was konnte schon so Schlimmes sein? Ich war ja schon von oben bis unten behaart. Ich würde mit allem fertig werden, was sie mir nun eröffneten. »Ich will es wissen.«
    »Du bist ein Wolf«, sagte Großmutter mit einer Kopfbewegung in Richtung des Hundes. »Genau wie dein Großonkel hier.«
    Der Hofhund war mein Großonkel Hilliard? Der Großonkel Hilliard, der gestorben war? War nicht nur nach ihm benannt? Großmutter lächelte nicht. Obwohl das ohnehin keinen Unterschied gemacht hätte. Sie machte nie Witze.
    »Ein Werwolf«, sagte Dad und warf seiner Mutter einen bösen Blick zu.
    Ich schaute Hilliard an. Ich schaute Dad an. Und dann die beiden Oldies. Keiner von ihnen lächelte.
    Großtante Dorothy nickte. »Genau wie deine Großmutter, dein Großonkel, deine Tanten Jill, Christine, Hen und Onkel Lloyd und deine Cousins und Cousinen Sam, Jessie, Susan, Alice und Lilly. Wir anderen sind nur Träger, wir vererben es weiter, ohne selbst wölfisch zu sein.« Sie klang ein wenig traurig. »Deswegen bist du so behaart. Wenn du erst einmal anfängst, dich in einen Wolf zu verwandeln, dann werden die Haare verschwinden. Während du Mensch bist, meine ich. Du bist dann nur noch als Wolf behaart. Als grauer Wolf, um genau zu sein, canis lupus
. Obwohl die meisten Werwölfe eigentlich zur Gattung canis dirus gehören. Das ist eine prähistorische Wolfsart, die mit Ausnahme der Werwölfe ausgestorben ist. Deswegen sind wir Wilkins auch kleiner als andere Werwolf-Familien. Graue Wölfe werden nur rund 80 Kilo schwer. Oft nicht einmal das. Genau wie wir. Lang und dürr.«
    »Zäh«, sagte Großmutter und streckte einen sehnigen, muskulösen Arm aus. »Stark.«
    » Wir sind eine Werwolf-Familie?«, fragte ich. Die Haare auf meinen Armen und im Gesicht waren silbrig und struppig. Wie Tierhaare. Wie Hilliards Fell. Ich spürte, wie sich die Haut an meinem ganzen Körper zusammenzog.
    »Ich hab dir doch gleich gesagt, dass es keinen Sinn hat, um den heißen Brei herumzureden«, wies Großmutter meinen Dad zurecht. »Micah hat schon verstanden. Hättest es ihr schon vor Jahren erzählen sollen. Es ist nicht recht,

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