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Luegnerin

Luegnerin

Titel: Luegnerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justine Larbalestier
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größte Lüge von allen, weil das bedeutet, dass ich nicht eine ganz normale Lügnerin bin, die behauptet, sie wäre ein Junge, ein Hermaphrodit oder ihr Dad ein Waffenhändler.
    Nein, viel schlimmer als das: Ihr denkt, dass ich das glaube. Dass ich so durchgeknallt bin, dass ich unter Wahnvorstellungen leide.
    Ihr glaubt außerdem, dass ich ihn getötet habe. Dass ich in meiner Wahnvorstellung, ich sei ein Werwolf, Zach umgebracht habe. Mir einzureden, ich sei ein Werwolf, ist der einzige Weg, wie ich mit dem leben kann, was ich getan habe.
    Aber ich habe es nicht getan.
    Das war ein anderer Werwolf.
    Ja, es gibt mehr als einen von uns.

MEINE GESCHICHTE
    Der Wandel kommt mit meiner Periode.
    Es tut weh. Jeder Nerv, jede Zelle, jeder Knochen, die Form meiner Augen, Nase, Mund, meine Arme, meine Beine. Alles an mir. Zieht und ächzt und stöhnt. Knochen strecken und verlängern sich, auch die Muskeln. Fasern zucken und reißen. Es ist, als wäre nicht nur jeder einzelne Knochen in meinem Körper gebrochen, sondern regelrecht
aufgebrochen, sodass das Mark herausquillt. Die Muskeln lösen sich vom Knochen. Die Augen fallen heraus. Die Ohren platzen.
    Ich heule.
    Für diese Zeitspanne, diese zwanzig Minuten der Verwandlung bin ich nichts als ein einziges Heulen. Es bricht und wird tiefer und dehnt sich aus und schnappt über. Fängt menschlich an und endet als Wolf. Es ist genauso schlimm, wenn es als Wolf anfängt und menschlich aufhört.
    Die Zellen in meinem Hirn. Die grauen Zellen. Quetschen sich zusammen und zerbrechen meine Erinnerungen.
    Ich, das Mädchen, ich, der Mensch
    ist nicht
    ich, der Wolf.
    Ich könnte das nicht jeden Monat durchstehen, das würde ich nicht überleben.
    Drei oder vier Mal pro Jahr – im Sommer –, mehr schaffe ich nicht.
    Deswegen nehme ich meine Pille auch so zuverlässig. Deswegen schlucke ich hier in der Stadt jeden Morgen eine und vergesse es nie.
    Weil allein die Verschiebung meiner Wirbelsäule vom Menschen zum Wolf schon genug Schmerz für ein ganzes Leben bereithält.
    Ich könnte das nicht jeden Monat.
    Aber ich vermisse meine Tage als Wolf und sehne mich nach dem Sommer, nach den Tagen zwischen diesen
zwanzig Minuten der Verwandlung – Mensch zu Wolf, Wolf zu Mensch. Tage, in denen ich frei herumlaufen kann und töten und Rohes essen und keine Gedanken daran verschwenden, wo ich hinpasse oder wer mich liebt oder was ich werden will, wenn ich mit der Schule fertig bin.
    Ich bin einfach nur. Ich weiß, wo ich hingehöre.
    Bis ich wieder Mensch werde.

VORHER
    Mein Vater hat mir von der Wolf-Geschichte erzählt, als ich zehn war. Damals hatte er beschlossen, dass ich nun alt genug war, die Bedeutung des Geheimnisses zu verstehen. Er hätte noch länger gewartet, aber er musste es mir vor der Pubertät erzählen, bevor meine erste Blutung auch die erste Verwandlung mit sich brachte. Die Oldies waren ohnehin der Meinung, dass er schon zu lange gewartet hatte. Eine meiner Cousinen hatte sich verwandelt, als sie neun war.
    Zehn war ein schlechtes Jahr für mich. Ich war unglücklich. Die Haare, mit denen ich geboren worden war, kamen wieder, und es schien von Tag zu Tag schlimmer zu werden, und zwar nicht nur, weil sie sich auf weitere Teile meines Körpers ausdehnten – meine Füße und Handflächen – , sondern weil sie auch struppiger und dichter wurden. Kein Arzt hatte eine Lösung. Keine Haarentfernungsmethode
wirkte für mehr als ein paar Tage. Ich hasste die Schule. Der Spott nahm kein Ende.
    Dad beschloss, mir draußen auf der Farm die Wahrheit zu erzählen. Er hatte gemeint, eine Woche aus der Stadt rauszukommen, würde mir guttun. Wir könnten uns bei den Oldies und ihren diversen Kindern und Enkelkindern entspannen.
    Ich war dankbar. Ich wusste, sie würden nichts wegen der Haare sagen. Manche meiner Cousinen waren genauso behaart wie ich: die Familienkrankheit. Deswegen brauchte man aber nicht zu glauben, dass sie mich nicht dennoch necken würden. Denn das taten sie: Weil ich eine Stadtpflanze war, wegen meiner Hautfarbe und meiner Art, mich zu kleiden und zu sprechen. Früher fand ich es furchtbar. Jetzt kam es mir völlig nichtig vor.
    Beim Spielen waren sie nicht mehr so hinterhältig oder ruppig wie sonst immer. Sie führten mich nicht tief in den Wald, um mich dann dortzulassen. Zwangen mich nicht, ihre Aufgaben für sie zu erledigen – den Stall auszumisten, den Kompost zu verteilen, die Schweine zu füttern.
    Sie mochten mich lieber, seitdem ich so behaart

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