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Luegnerin

Luegnerin

Titel: Luegnerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justine Larbalestier
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mitten im Sommer auf ihrer Veranda sitze, sehe ich nur Geißblatt und Kolibris. Und Hilliard.
    Er ist einsam. Der einsame Wolf – außer wenn sich meine Cousins und Cousinen verwandeln. Dann laufen sie als Rudel, spielen, jagen, heulen. Im Sommer bin ich mit dabei. Aber meine Cousins und ich verwandeln uns nur für wenige Tage im Monat. In der übrigen Zeit ist Hilliard allein.
    Wölfe sind gesellig. Sie brauchen ihr Rudel.

    Ob Hilliard wohl die Verwandlung vermisst? Sein Leben in beiden Welten.
    Bei Großmutter ist es so, das weiß ich.

DER MOND
    Der Mond hat nichts damit zu tun. Es sei denn, der Zyklus befindet sich im Einklang mit dem Mond.
    Bestimmt fragt ihr euch, wie es bei den Männern geht. Die menstruieren ja nicht. Und sie durchleben auch keine Wechseljahre. Wie verwandeln die sich dann in Wölfe und wie hört es bei ihnen auf?
    Es gibt immer mehr weibliche als männliche Werwölfe. Weil die weiblichen die Verwandlung bewirken. Ein männlicher Werwolf, der alleine aufwächst, getrennt von seinen Artgenossen, wird nie zum Wolf.
    Er muss dazu in der Nähe von weiblichen Wölfen sein. Wenn wir anfangen, uns zu verwandeln, verwandeln sie sich ebenfalls. Kommen wir in die Menopause, ergeht es ihnen ebenso.
    Deswegen leben die meisten von uns auch im Rudel. Jedenfalls diejenigen, die noch nicht ausgestorben sind.
    Diejenigen, die sich nicht in den Städten verstecken und brav ihre Pille nehmen. Oder, wenn es Jungen sind, ihre Artgenossen meiden. Ein Wolfsjunge kann für immer Mensch bleiben – er darf sich dazu nur niemals einem Wolfsmädchen nähern.

DIE TIERE
    Ihr fragt euch, was mit den anderen Tieren auf der Farm ist, mit den Hühnern, Gänsen, Schweinen, Ziegen, Kühen und Pferden. Wie kommen die in der Umgebung von Wölfen klar? Es ist ja nicht nur Hilliard, sondern es sind auch die anderen Wilkins, wenn sie sich gemeinsam in Wölfe verwandeln.
    Gänse haben schon mal vor gar nichts Angst, nicht mal vor menschlichen Wölfen. Sie sind nicht wie normale Tiere, also schrecken sie nicht vor uns zurück, solange wir Menschen sind. (Es hat auch sein Gutes, dass uns die meisten Tiere fürchten: In unserer Wohnung in der Stadt war noch nie eine einzige Maus oder Ratte – auch nicht auf der Farm –, man sollte meinen, dass meine Eltern dankbar dafür wären.)
    Aber die Tiere drehen durch, wenn wir uns verwandeln. Sobald es einer von uns kommen spürt, entfernen wir uns vom Haus und von den Ställen und Weiden und gehen in den Wald. Natürlich ist die Angst der Tiere vor der Verwandlung nichts im Vergleich zu ihren Gefühlen, wenn tatsächlich ein Wolf in der Nähe ist. Solange das Rudel in seiner geballten Kraft dort draußen herumläuft, sorgen die Oldies dafür, dass sämtliche anderen Tiere drinnen bleiben.
    Obwohl wir Wölfe gelernt haben, sie in Ruhe zu lassen.
    Kaninchen und Rehe, ja. Aber Haustiere, nein. Viel zu viel Ärger, ganz gleich, ob es unsere Tiere sind oder die der Nachbarn.

VORHER
    Meine Pille?
    Manchmal, nicht oft, vergesse ich sie.
    Mein Schreibtisch?
    Der so dumpf scheppert? Der aus Metall gemacht ist?
    Ist ein Käfig: ein mal zwei Meter.
    Wenn ich meine Pille vergesse, dann werde ich hier eingesperrt.
    Hier haben sie mich auch beim ersten Mal reingesteckt.
    Das war so: Ich war zwölf. Meine Haut fing an zu jucken. So wie es früher gewesen war, wenn meine Behaarung wieder anfing zu wachsen. Ich war damals noch in der Middle School. Die Behaarung war verschwunden und ich war seither auf dieselbe Schule gegangen.
    Meine Haut fing auf dem Heimweg von der Schule an zu jucken. Ich hatte das Handy bei mir, das mir meine Eltern gegeben hatten, damit ich sie im Notfall anrufen konnte – wobei mit Notfall die Anzeichen für eine bevorstehende Verwandlung gemeint waren –, aber meine Schule war nur fünf Blocks von unserer Wohnung entfernt: eine Avenue und vier kleinere Querstraßen. Ich war sicher, dass ich es schaffen würde. Ich beschleunigte meine Schritte. Rannte die Treppe hinauf, durch die Wohnungstür, hängte meinen Rucksack an den Kleiderständer neben der Tür.
    »Hi, Dad«, sagte ich. Er saß am Küchentisch, umgeben von einem Haufen von Hochglanzmagazinen und Flyern, Laptop aufgeklappt, und tippte wie wild. Er schaute kurz auf, nickte und wandte sich dann wieder dem Bildschirm zu.

    Ich machte den Mund auf, um ihm von meiner juckenden Haut zu erzählen, aber das war sein Bitte-nichtstören-Blick gewesen. Stattdessen ging ich ins Bad. Da war Blut. Nicht viel. Winzige Flecken in

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