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Luegnerin

Luegnerin

Titel: Luegnerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justine Larbalestier
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wollte. Wollte er, dass ich ohne Schulbildung blieb? Dass ich ohne Computer aufwuchs?
    Ich überkreuzte die Beine und lehnte mich mit dem Rücken gegen die Gitterstäbe. Es war nicht bequem. »Kann ich ein Kissen haben?«
    »Klar.« Dad nahm eins vom Bett. »Ist dir schon heiß? Was ist mit deinen Zähnen?«
    »Nicht heiß. Zähne sind normal.«
    Dad öffnete den Käfig und reichte mir das Kissen, dabei drückte er mir die Hand. »Das wird schon, Micah«, sagte er. Er ließ meine Hand los und verschloss den Käfig wieder. »Versprochen.«
    Ich kämpfte gegen die Tränen an. Ich glaubte jedes Wort, das mir Dad und die Oldies gesagt hatten, aber hier in diesem Käfig zu sitzen und darauf zu warten, in einen Wolf verwandelt zu werden, kam mir so blöd vor.Was war, wenn das alles nur Mist war? Sie erzählten so viele Lügen. Was war, wenn das hier ihre größte war?
    Als Mom nach Hause kam, tauschten sie die Plätze. Dad ging raus, um seinen blöden Artikel für irgend so eine blöde Zeitschrift fertig zu schreiben, aber zuvor ließ ich mir von ihm versprechen, dass Jordan nicht zu mir hereindurfte. Mein Idiot von Bruder sollte mich nicht so sehen.
    Mom kam mit zwei Käse-Schinken-Tomaten-Sandwichs herein, reichte mir den Teller durch eine Lücke in den Gitterstäben und tätschelte mir die Hand.

    Gierig schlang ich sie herunter. Hungrig wie ein Wolf. Mom erzählte von ihrem Tag und tat so, als wäre es völlig normal, ihrer Tochter dabei zuzusehen, wie sie in einem verschlossenen Käfig sitzend Sandwichs isst. »Jordan bleibt übers Wochenende bei Karl«, sagte sie schließlich und kam damit auf die bizarre Situation zu sprechen, in der wir uns befanden.
    Ich war froh. Nicht nur, weil es immer herrlich ist, wenn das Monster weg ist, sondern weil sie ihm noch nichts gesagt hatten. Ich hoffte, er würde es nie erfahren.
    Ich gab ihr den Teller zurück. »Danke.«
    »Sehr gern geschehen, chérie .« Sie streckte die Hand durch das Gitter, um mir das Knie zu tätscheln. »Wie fühlst du dich?«
    »Gut. Meine Arme jucken noch immer, aber schau …« Ich hielt sie vor mich hin, damit sie es sehen konnte. »… noch keine Haare. Mir ist auch nicht heiß. Meine Zähne tun nicht weh und mein Herz schlägt auch nicht mehr schnell.«
    »Hat deine Großmutter gesagt, wie lange es dauern würde?«
    »Sie hat gesagt, es ist unterschiedlich. Manchmal geht es sehr schnell nach den ersten Anzeichen. Manchmal kann es auch ein paar Tage dauern.«
    »Tage!«, stöhnte Mom. »Müssen wir dich tagelang so eingesperrt halten? Ich hoffe, es passiert bald.«
    »Das hoffe ich auch«, sagte ich.

VORHER
    Aber es passierte nichts.
    Am Sonntagmorgen war ich noch immer kein Wolf. Meine Arme juckten nicht mehr und die Pickel waren verschwunden. Als ich den Eimer benutzte, waren keine weiteren Spuren von Blut zu sehen.
    »Ich glaube, es war falscher Alarm«, erklärte ich meinem Dad. »Kommt das vor?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte er. Er hielt die Hände vor sich ausgestreckt. Er konnte die Oldies nicht anrufen – sie hatten ja kein Telefon. »Ich werde rausfahren müssen und sie fragen. Ich kann dich doch nicht in diesem Käfig lassen, wenn es falscher Alarm ist.«
    Er fuhr hinaus auf die Farm (in zwei Stunden und unter Übertretung aller Geschwindigkeitsbeschränkungen) und zurück (wieder in zwei Stunden und unter Übertretung der Geschwindigkeitsbeschränkungen), nur um zu erfahren, ja, so etwas wie falscher Alarm käme vor und wenn die Verwandlung nicht innerhalb von vierundzwanzig Stunden eingetreten sei und die Anzeichen verschwunden wären, dann würde es auch keine Verwandlung geben.
    Ich hätte schreien können.
    Wenn die Oldies hier gewesen wären, dann hätte ich sie umgebracht.
    Dad kam so rasch wie möglich nach Hause und öffnete den Käfig und ließ mich heraus, noch bevor er irgendetwas erklärt hatte.
    Ich stolperte. Noch nie zuvor war ich so lange Zeit nicht gelaufen, geschweige denn nicht gestanden. Ich war
nicht sicher, dass ich das noch einmal tun konnte. Wieder in diesen Käfig gehen?
    Mom und Dad umarmten mich fest, trotz meines Geruchs und trotz des Geruchs aus dem Eimer.
    Ich wandte dem Käfig den Rücken zu. Als sie mich losließen, ging ich raus, um zu duschen.
    Erst dann weinte ich.
    Ich wollte nicht wieder in diesen Käfig, aber ich wollte auch nicht bei den Oldies leben.
    Es musste einen anderen Weg geben.

ZÄHNE UND KLAUEN
    Wie man den Wolf auch füttert, er wird trotzdem immer zum Wald

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