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Luegnerin

Luegnerin

Titel: Luegnerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justine Larbalestier
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York. Oder vielleicht ist es auch ein Sprachfehler. Jedenfalls redet er nicht normal. »Du bist so wie ich.«
    Ich habe das dringende Bedürfnis, ihm zu sagen, dass ich nicht stinke. Aber er hat recht. Wir sind beide Wölfe. Er atmet nicht schwer, wie Zach es inzwischen täte. Seine Schritte sind zu kurz und seine Arme flattern irgendwo in der Gegend herum, aber er hält locker mit mir Schritt.
    »Es ist passiert, nachdem ich dich gesehen hab. Wie du gelaufen bist. Genau wie ich. Du hast mich verhext. Mich in ein Tier verwandelt.«
    Er weiß nicht, was er ist?
    »Es hat wehgetan. Deine Magie hat so doll wehgetan. Warum hast du das getan? Du hättest mich warnen können. «
    Was soll ich sagen? Ich konzentriere mich auf das Schwingen meiner Arme, darauf, meine Schultern unten und die Knie hoch zu halten.
    Mein Kopf tut weh. Was ist mit seiner Familie? Warum haben sie ihm nicht gesagt, was er ist?
    »Warum hast du das getan?«, fragt er. »Ich hab nichts getan«, sage ich. »Der Wolf war schon in dir. Deine Eltern hätten es dir sagen müssen.«
    »Hab keine Eltern«, sagt er. »Wolf? Ist das das Tier, in das du mich verhext hast? Was? Ich dachte, es wäre ein Bär.«
    »Ich hab das nicht mit dir gemacht. Das ist keine Magie.« Keine Eltern? Wie kann er keine Eltern haben? »Was ist
mit dem Rest von deiner Familie?«, frage ich. »Brüder? Schwestern? Großeltern? Tanten?«
    »Keine Familie. Du hast mich in einen Wolf verwandelt? Ich mag Wolfs.«
    »Wölfe«, sage ich.
    In der Ferne ist ein Wachfahrzeug. Ich springe über den Zaun und laufe weiter in den Park hinein, wo keine Autos hinkommen. Ich genieße das Gras unter meinen Schuhen. Federnd und nachgiebiger. Der Junge folgt mir, ohne einen Schritt auszusetzen. Er schwitzt nicht mehr als ich. Umso besser. Unvorstellbar, wie viel schlimmer er sonst erst riechen würde.
    »Ich hab gar nichts mit dir gemacht«, wiederhole ich, obwohl das nicht ganz stimmt. »Du wurdest schon so geboren. Das liegt bei dir in der Familie. Bei mir sind lauter Wölfe. Deswegen bin ich auch einer.«
    »Das heißt, du bist meine Familie, ja?«
    »Vielleicht«, sage ich und hoffe, dass es nicht so ist.
    »Du bist schwarz. Kann keine Familie sein.«
    Ich stöhne. Langsam glaube ich, dass er nicht der Hellste ist. Wie soll ich ihm etwas erklären? »Wie alt bist du?«
    »Keine Ahnung. Dreizehn? Vielleicht vierzehn.«
    »Wieso weißt du nicht, wie alt du bist?« Das ist doch unmöglich. »Als du dich in einen Wolf verwandelt hast, hast du jemanden umgebracht. Hast du das gewusst?«
    »Ja. Dein Freund.«
    Ich drehe den Kopf, um ihn besser sehen zu können. Er sieht genauso übel aus, wie er riecht. Nicht nur dreckig. Seine Haut ist uneben, fleckig, vernarbt, übersät von Pickeln und Mitessern, großporig. Auf seiner Stirn und unter seinem rechten Auge sind Narben. Vielleicht auch
unter dem linken, aber ich kann nur sein Profil sehen. Seine Zähne stehen so eng und schief, dass sein Mund fast überzuquellen scheint. Sie sind grün.
    »Mein Bauch hat wehgetan«, fährt er fort. »Ich war so wütend und hungrig. Hab ihn zuerst gerochen. Ich kannte ihn, weil er die ganze Zeit mit dir zusammen war. Ich bin dir gefolgt. Ich hab ihn gefressen«, sagt er. Aus seinem linken Nasenloch läuft der Rotz. »Wusste gar nicht, dass ich das kann, bis ich es getan hab.«
    Abrupt bleibe ich stehen und schlage den Jungen mit aller Kraft ins Gesicht. Meine Hand explodiert. »Au. Fuck.«
    Der Junge sackt auf dem Gras zusammen. Ich trete ihm fest in die Rippen und dann wieder und wieder. Er gibt keinen Laut von sich. So als wäre er schon öfter zusammengeschlagen worden und hätte gelernt, still zu sein. Ich höre auf. »Fuck.«
    Der Blick, den er mir zuwirft, ist schmerzverzerrt, aber nicht überrascht. Sein linkes Auge ist gerötet. Bald wird es blau werden. Ich weiß nicht, was er von mir erwartet hat, aber nicht das hier. Ich gehe vor ihm auf und ab, die Hände zu Fäusten geballt. »Du hast meinen Freund umgebracht. Was hast du geglaubt, was ich tun würde? Dich küssen?«
    Der Junge sagt nichts. Er duckt sich noch tiefer, als würde er sich auf weitere Gewalt einstellen. Angewidert wende ich mich ab.
    »Du lebst auf der Straße, oder?«
    Er ist obdachlos. Ein Straßenkind. Er ist arm. Ärmer als arm. Er hat gar nichts. Er ist viel ärmer, als ich ärmer bin als Sarah. Er hat keine Familie. Ich glaube nicht, dass er in die Schule gegangen ist. Oder wenn, dann ist das lange
her. Er hatte keine Ahnung, dass er ein

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