Luegst du noch oder liebst du schon Roman
billiger Modeschmuck, ohne weitere Bedeutung. Vielen Dank, aber es ist wirklich nicht nötig, dass Sie meinetwegen auf dem Boden herumkriechen.«
»Schauen Sie, haben Sie jemals so etwas Schönes gesehen?«, fragt er und deutet mit dem Stock auf die Reifen des Jaguar X-Type. Sie sind von unzähligen Marienkäfern übersät, als hätte jemand kleine bunte Perlen aufgeklebt.
»Nein, noch nie«, antworte ich, gerührt von diesem wunderbaren Anblick. Und erst jetzt fällt es mir auf: Auch vor mir auf dem Boden sitzen viele der Krabbeltierchen und scheinen sich zu sonnen. Neben uns ist ein Mitarbeiter der Stadtreinigung dabei, die Straße zu kehren und von den klebrigen Lindenblüten zu befreien, die seit Wochen vertrocknet von den Bäumen fallen und der Stadt einen verfrühten Hauch von Herbst verleihen.
»Man kann sie nicht alle retten, es sind einfach zu viele«, murmelt der ältere Herr kopfschüttelnd, hebt einige vom Boden auf und setzt sie in die angrenzenden Büsche. »Solche Massen an Marienkäfern habe ich noch nie in meinem Leben gesehen. Wir werden in diesem Jahr alle mächtig viel Glück haben!«
Beglückt von dieser Vorstellung gehe ich zurück zu meinem Auto. Auf dem Weg passe ich auf, keinen Krabbler zu zertreten. Als ich die Wagentür aufschließe, klingelt mein Handy. »Sammy« leuchtet es im Display.
»Ich wollte nur sagen, wie lieb ich dich hab, Mami, und fragen, wann du uns besuchen kommst«, tönt seine Stimme durch den Hörer.
Es ist immer wieder merkwürdig, mit ihm zu telefonieren, irgendwie fremd und doch vertraut.
»Hallo, mein Schatz«, antworte ich und setze mich hinters Steuer. »Ich hab dich auch lieb und vermiss dich ganz doll. Geht es euch gut?«
Sammy redet wie ein Wasserfall, offenbar gefällt es ihm sehr gut an der Ostsee.
»Aber weißt du waaaaas?«, fragt er schließlich geheimnisvoll. Na, was kommt jetzt? »Wir konnten heute gar nicht im Strandkorb sitzen, überall waren Marienkäfer.« Er klingt eher stolz als enttäuscht.
»Ja, Schätzchen, in Hamburg gibt es auch wahnsinnig viele, das sieht sehr schön aus.« Ein Gefühl von grenzenloser Liebe durchströmt mein Herz. Wir werden in diesem Jahr alle mächtig viel Glück haben! Und ich habe bereits das Glück, dass es Sammy gibt!
Als ich wieder in Eimsbüttel bin, stelle ich fest, dass ich mich beeilen muss, wenn ich pünktlich zu meiner Verabredung mit Mia kommen will. Mein Anrufbeantworter blinkt und zeigt eine Nachricht an. Sie stammt von Nadine Rogér, einer ehemaligen Kollegin von Pure-Nature, die auf einem Bauernhof in Südfrankreich lebt und von der ich schon seit Ewigkeiten nichts mehr gehört habe.
»Hallo, Franca, ich wollte mich zwischenzeitlich bei dir melden und hören, wie es dir so geht. Außerdem habe ich Neuigkeiten: Ich habe gerade meine eigene Kosmetiklinie zertifizieren lassen und werde im Herbst mit den ersten Produkten auf den deutschen Markt kommen. Und in diesem Zusammenhang wollte ich fragen, ob du
dir vielleicht vorstellen kannst, mich ein wenig dabei zu unterstützen. Ich bin diese Woche in Hamburg. Ruf mich an, wenn du Lust hast!« Als ich aus dem Fenster schaue, sehe ich, dass an der Scheibe mindestens zehn Marienkäfer sitzen, und lächle.
36
Das Leben ist kein Ponyhof!
OLIVER KRAMER -
SONNTAG, 4. JULI, BIS MONTAG, 5. JULI
Aua! Mann, tut das weh!
Ich recke und strecke mich und bemitleide mich selbst. Wir Männer können das sowieso ziemlich gut, aber noch besser, wenn eine Frau an unserer Seite ist, die wir mit unseren Wehwehchen auf Trab halten oder in den Wahnsinn treiben können.
Erstaunlich, dass Samira noch nicht der Geduldsfaden gerissen ist. Seit gestern Abend versucht sie mit allerlei Zaubermittelchen und Tinkturen, meinen starken Nackenschmerzen zu Leibe zu rücken, wohingegen ich es bevorzugen würde, endlich in die Uni-Klinik zu fahren und mich in die erfahrenen Hände eines Chiropraktikers zu begeben.
»Das liegt daran, dass sich dein Chakra geöffnet hat«, erklärt Samira mir stolz. »Eine so wichtige Veränderung im Körper zieht natürlich immer einiges nach sich.«
Ach ja? Und wieso tut sie mir das dann an, wenn sie die Folgen kennt?
»Ich verstehe nicht, was das eine mit dem anderen zu
tun hat«, antworte ich unwirsch. Ich hab allmählich die Schnauze voll von diesem ganzen Kokolores! »Mein Herz ist vorne und mein Nacken hinten, oder etwa nicht?«
»Aber dein Gallenmeridian ist mit ihm verbunden«, erklärt Samira in einem Ton, als hätte ich in Biologie
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