Luegst du noch oder liebst du schon Roman
nicht?«
»Und verstehst du nicht, was du Sammy damit antust?«
Und mir auch?, ergänze ich in Gedanken.
Mittlerweile überschlägt sich meine Stimme fast. Ralf hat mir soeben eröffnet, dass er in vier Wochen zusammen mit Britta nach New York ziehen und sie dort heiraten wird.
»Das bedeutet im Klartext, dass du deinen Sohn maximal einmal im Jahr sehen wirst. Ist das deine Vorstellung von Vaterschaft?«
»Können wir das bitte in Ruhe besprechen, ohne dass du mich anschreist?«, fordert Ralf mich auf und setzt
sich auf das Sofa, obwohl ich ihm gar nicht angeboten habe, Platz zu nehmen. Eigentlich war ich davon ausgegangen, dass er Sammy nur kurz raufbringt, Gute Nacht sagt und dann wieder geht. Womit ich nicht gerechnet habe, war, dass er mit seinem Besuch meinen gesamten Lebensplan auf den Kopf stellt.
»Okay, es tut mir leid«, antworte ich, obwohl ich ihn am liebsten angespitzt in den Boden rammen würde. Aber in Sammys Interesse muss ich jetzt ruhig und vor allem geduldig bleiben.
»Dann erklär mir bitte, wieso ihr plötzlich auf diese abstruse Idee verfallen seid und wie du dir das in Zukunft mit Sammy vorstellst.«
Während mein Sohn nebenan eine Kassette hört, klärt mein Exmann mich darüber auf, dass Britta in die New Yorker Zentrale versetzt wurde, nicht zuletzt, weil die Präsentation am vergangenen Dienstag ihre Bosse so beeindruckt hat.
»Die Amis sind begeistert von ihrer Kreativität, ihrem Durchsetzungsvermögen und ihrer Weitsicht. Sie werden eine andere Kollegin mit der Umsetzung ihres Konzepts für den deutschen Markt beauftragen und brauchen sie, um der Mannschaft im US-Department Beine zu machen. Außerdem waren sie hin und weg von Brittas Vorschlag, mehr auf ökologische Materialien wie Organic-Cotton zu setzen.« Ralf ist offenbar schwer beeindruckt von den Qualitäten seiner Angebeteten - ich von seiner väterlichen Gefühlskälte. Außerdem stammt der Vorschlag mit der biologischen Baumwolle von mir, jawohl!
»Und was willst du in New York machen?«, frage ich, während meine Knie zittern. Wenn Ralf mir jetzt erzählt, dass er nach seiner Vermählung mit Britta Hausmann wird und deshalb seinen Unterhaltsverpflichtungen für Sammy nicht mehr nachkommen kann, ist er so gut wie tot.
»Ich werde weiterhin als selbstständiger Consultant arbeiten«, erklärt Ralf und lächelt breit. Offenbar trainiert er bereits für das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, in dem Leitsätze wie »Yes, we can!« und »You can make it happen, you can make it real!« gelten und aus Tellerwäschern Millionäre werden. Wird er sich jetzt auch seine Zähne bleachen lassen?
»Aber das ist doch ein ziemliches Risiko. Du musst dir dort einen vollkommen neuen Kundenstamm aufbauen.«
»Keine Sorge, du bekommst das Geld für Sammy auch weiterhin pünktlich. Ich habe das gut vorbereitet und fange keineswegs bei null an, wie du vielleicht denkst.«
»Und seit wann wisst ihr das?« Allmählich dämmert mir der tiefere Sinn des Sylt-Ausflugs. Bestimmt weiß Ralf schon länger, dass er bald in den USA leben wird.
»Wir spielen schon seit einer Weile mit dem Gedanken. Jetzt, wo Obama Präsident ist, weht in den Staaten ein ganz anderer Wind, während es hier in Deutschland langfristig den Bach runtergehen wird.«
Danke, Ralf! Und da lässt du deinen Sohn und deine Exfrau lieber hier allein, anstatt dafür zu sorgen, dass sie ein abgesichertes Dasein führen können. Egoist!
»Was Sammy betrifft, so werde ich versuchen, mindestens
viermal im Jahr für eine Woche nach Hamburg zu kommen. Schließlich habe ich auch hier Klienten, die weiterhin von mir betreut werden möchten. Und Britta und ich würden uns freuen, wenn ihr beide uns ebenfalls besuchen kommt. Wir haben ein ziemlich großes Gästezimmer in unserem Loft.«
Na klar! Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als zusammen mit Klappergestell Britta in einer Wohnung zu wohnen und gemeinsam mit ihr dem »New American way of life« zu frönen.
»Nein danke«, antworte ich so souverän wie möglich. »Erstens werde ich Sammy keinesfalls den Strapazen eines so langen Flugs aussetzen, und zweitens würde ich im unwahrscheinlichen Fall der Fälle in einem Hotel wohnen.«
Nachdem es zwischen uns nichts mehr weiter zu sagen gibt, verabschiedet sich Ralf von Sammy, und ich bin froh, als die Tür endlich hinter ihm ins Schloss fällt. In meinem Kopf geht es rund, am liebsten würde ich sofort Mia anrufen. Doch zuallererst muss ich sicherstellen, dass es meinem
Weitere Kostenlose Bücher