Luegst du noch oder liebst du schon Roman
Anmache auf dem Weg zur Ostsee, meinen vergurkten Strand-Flirt, die missglückte Baggerei im Museum verkaufe ich als Erfolgsmaschen. Schließlich preise ich Spontan-Quickies auf Partys an, was mir das Stirnrunzeln meiner Lektorin einträgt, doch die Augen einiger weiblichen Außendienstmitarbeiter zum Flackern bringt. Schließlich komme ich zu meinem persönlichen Herzensthema: dem Speed-Dating. Zur Veranschaulichung der Situation zeige ich auf dem Beamer den aktuellen Werbespot für Kinderschokolade, in dem sich ein Glas Milch (weiblich!) und ein Schokoriegel (männlich!) beim Speed-daten in einem Bistro gegenübersitzen:
ER (Fragebogen vor sich auf dem Tisch,
Stift in der Hand):
»Bist du kompliziert?«
SIE (roter Kussmund, gebogene, extralange
Wimpern) haucht: »Nein.«
ER: »Genussmensch oder Hektiker?«
SIE: »Mhhhm, Genussmensch.«
ER: »Vollende bitte diesen Satz: Ich habe eine
Schwäche für …«
SIE: »Schokolaaaaaaaaaaaaaaaaade!«
IHM fällt der Stift aus der Hand, er springt auf.
SIE stürmt auf ihn zu und umarmt ihn.
Die beiden liegen sich in den Armen und
verschmelzen zu einem Kinderriegel.
SLOGAN: »Einfach zum Anbeißen!«
Nach diesem Spot habe ich Tränen in den Augen, während vor mir Applaus aufbrandet. Ich kann einfach nicht anders, ich muss an Franca denken. An ihre Haut, weiß wie ein frisches Glas Milch, an ihre roten Lippen, die langen, gebogenen Wimpern …
Und daran, dass sie mich angelogen hat. Schamlos!
Sie war nämlich gar nicht in München, oder zumindest nicht so lange, wie sie behauptet hat. Stattdessen saß sie wieder mit diesem Dunkelhaarigen im Raio Solar und turtelte herum. Zumindest wirkte es so, als ich am Café vorbeiging.
Ursprünglich hatte ich vorgehabt, dort einen Galão zu trinken, meine Schreibblockade aufzubrechen und ein wenig von Franca zu träumen. Schließlich sind wir uns dort zum ersten Mal begegnet. Keine Frage, dass mir die Lust dazu schleunigst vergangen ist, nachdem ich die beiden dort zusammen gesehen habe.
»Herzlichen Dank für diese wunderbare, aufschlussreiche und äußerst emotionale Präsentation«, sagt Patricia Hardeland und unterbricht damit rüde meine Gedanken. Dies ist für mich das Signal, endlich zum Schluss zu kommen.
Ich sage:
»Und denken Sie immer daran: Es ist nie zu spät, der wahren Liebe zu begegnen!«, bedanke mich für die Aufmerksamkeit, verlasse die Bühne und lächle in die Runde.
Nun bleiben mir noch zehn Minuten bis zum Mittagessen. Dumm, dass ich nicht mehr rauche. Sonst könnte ich meine emotionale Verwirrung in Nikotin hüllen und all meine Probleme vernebeln. Ohne Zigarette bleibt mir nichts anderes übrig, als mir einzugestehen, dass es mich mit Franca Peters wirklich schwer erwischt hat und ich es überhaupt nicht gut wegstecke, dass ich sie beim Lügen erwischt habe.
Weshalb tut sie das?, frage ich mich zum wiederholten Male und habe plötzlich Verständnis dafür, dass Frauen alles mit ihrer besten Freundin durchkauen.
»Alles klar, Herr Kramer?«, fragt Simon Gruber, der wie aus dem Nichts neben mir aufgetaucht ist, während ich aus dem Flurfenster auf die Elbe starre. »Super Präsentation! Die Vertreter sind begeistert - vor allem die weiblichen!«
»Freut mich. Das war ja Sinn und Zweck dieser Übung.«
»Sie waren wirklich sehr überzeugend. Vor allem bei der Passage mit dem Speed-Dating.«
»Das finde ich auch«, schließt sich eine äußerst attraktive Dame mit raspelkurzen schwarzen Haaren der Meinung meines Verlegers an und gibt mir die Hand. »Amelie Künzelmann, Leiterin Vertrieb und Marketing«, stellt sich sie sich vor. Ich schätze sie so auf Anfang dreißig. »Obwohl Speed-Dating im echten Leben weit weniger romantisch ist als in diesem Spot.«
Ehe ich es mich versehe, nimmt Frau Künzelmann mich
bereits am Arm und dirigiert mich sanft in die Verlagskantine, die dem Anlass gemäß aufwendig umgestaltet und dekoriert wurde. Letztes Jahr fand dieses Mittagessen noch im Tafelhaus in Neumühlen statt, wie ich von Simon weiß. Heute jedoch dürfen wir Christian Rachs Restaurant nicht testen, denn die Finanzkrise übt Rache an uns. Wenigstens gibt es keine Wiener Würstchen mit Kartoffelsalat, sondern halbwegs genießbare italienische Speisen vom Buffet.
Während ich eine Portion Spaghetti Marinara auf meinen Teller gebe, bin ich in Gedanken wieder bei Franca. Ich habe bislang noch keine Frau getroffen, die so sinnlich Nudeln isst.
»Schmeckt es Ihnen nicht?«, fragt Amelie, die an meiner rechten
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