Luegst du noch oder liebst du schon Roman
mystisch hier. Außerdem fällt mir gleich der Arm ab, denn der Bildband wiegt schätzungsweise eine Tonne.
»Haben Sie es schon mal mit Meditation versucht?«, fragt die Dame plötzlich und lächelt mich belustigt an. »Könnte Ihnen guttun, Sie wirken nämlich ein wenig gestresst!«
Häh?!
Ich lege den Bildband auf den Tisch und atme tief durch. Leider kitzelt der Duft eines soeben entzündeten Räucherstäbchens meine Nase, und ich beginne zu niesen. Die schöne Fremde bietet mir ein Tempo an, das ich dankbar annehme. »Sie sind zum ersten Mal hier, stimmt’s?«, fragt sie mit samtweicher Stimme und entblößt makellose schneeweiße Zähne, die jeden Zahnarzt in Hochstimmung versetzen würden.
»Woran erkennt man das?« »An der Art, wie Sie durch den Laden gehen. Sie haben Ihre Schultern hochgezogen und insgesamt eine angespannte Körperhaltung. Als würden Sie jeden Moment mit einem Angriff rechnen.«
Ja, mit dem Angriff der Eso-Hexen!
»Gut erkannt!«, sage ich grinsend. »Ich finde diesen Laden wirklich ein bisschen unheimlich.«
»Und weshalb sind Sie dann hier? Hat Ihre Freundin Sie gezwungen?«
»Nein, nein - ich komme aus freien Stücken. Ich bin Autor und recherchiere für mein neues Buch. Und mich würde einfach interessieren, was eigentlich so toll an Meditation ist? Ist das nicht nur was für den Dalai Lama und Hollywood-Schauspielerinnen in der Sinnkrise? Ich heiße übrigens Oliver Kramer.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen, Oliver. Ich heiße Samira.«
Samira? Das klingt aber exotisch! Bin ich hier gerade einem Wesen vom anderen Stern begegnet? Würde ja zur Umgebung passen.
»Mein Name kommt aus dem Arabischen und bedeutet ›die Unterhalterin‹. Also, Oliver, kommen Sie und schauen Sie selbst.«
Ich folge meiner Mentorin in Sachen Spiritualität und bin fassungslos, als ich sehe, wie viele Bücher, CDs und Kartensets es zu diesem Thema gibt.
»O mein Gott!«, stoße ich atemlos hervor. Das ist ja ein Riesenmarkt! Vielleicht sollte ich lieber auf so etwas umsatteln, anstatt es mit einem Roman zu versuchen.
»Schön, nicht?«, grinst Samira und greift gezielt nach zwei Büchern, beide von einem gewissen Thich Nath Hanh.
»Diesen Autor finde ich besonders inspirierend, er ist vietnamesischer Mönch und lehrt im spirituellen Zentrum Plumvillage in Frankreich.«
Aha! Der Mann isst also überwiegend Reis und spricht Französisch.
»Für den Anfang würde ich Ihnen Das Wunder der
Achtsamkeit ans Herz legen, in dem die grundlegenden Prinzipien des Buddhismus erklärt werden.«
Ich halte das weiße Buch mit der roten Blüte auf dem Cover in der Hand und blättere die ersten Seiten durch, während Samira sich durch das Angebot der CDs wühlt.
Der Meister schreibt poetisch über achtsame Handlungsweisen und spirituelle Rituale, und ich verspüre sofort das dringende Bedürfnis, mich zu setzen. Ich sitze eben immer, wenn ich lese - das ist mein Ritual! Erfreulicherweise gibt es hier überall kleine Hocker.
Während ich mich weiter in den Text vertiefe, atme ich beinahe automatisch langsamer.
Wenn man Tee trinkt, so der weise Mönch, soll man sich ausschließlich auf diesen Moment konzentrieren, bewusst im Hier und Jetzt leben und sich weder mit der Vergangenheit noch mit der Zukunft beschäftigen.
Ich lasse diese Aussage auf mich wirken. Das mit dem Teetrinken bekomme ich hin. Vorausgesetzt, man kann Tee auch durch Kaffee ersetzen. Ansonsten klingt diese Philosophie ganz nach meiner eigenen. Meine Devise lautet immer schon: Vergiss gestern und morgen, lebe jetzt, und hab Spaß dabei!
Demzufolge bin ich schon zeit meines Lebens Buddhist!
»Und? Gefällt Ihnen das Buch?«, will Samira wissen - offenbar nimmt sie ihre Mission sehr ernst. Vielleicht arbeitet sie in Wahrheit undercover für die Buchhandlung und ist darauf spezialisiert, Ungläubige wie mich in eine Art esoterische Abhängigkeit zu treiben, damit ich in Zukunft regelmäßige Umsätze tätige?
Ich nicke brav.
»Wenn Sie dieses Buch anspricht, empfehle ich Ihnen als Anschlusslektüre Liebe heißt, mit wachem Herzen leben . Für mich ist es das Standardwerk zum Thema Liebe.«
Das klingt, als könnte mir dieses Buch bei meinem Problem mit Franca weiterhelfen. Das will ich!
»In Ordnung, ich nehme sie beide«, sage ich und stehe auf. Ich muss an die frische Luft, bevor ich von den süßlichen Düften Kopfschmerzen bekomme.
An der Kasse lasse ich mich noch dazu hinreißen, eine Entspannungs-CD und einen Schutzengel aus
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