Luegst du noch oder liebst du schon Roman
lesen. Das ist der große Unterschied zwischen Männern und Frauen (neben vielen anderen natürlich!): Frauen, die alleine Kaffee trinken oder essen gehen, lesen eigentlich immer. Sie haben entweder eine Zeitschrift oder ein Buch vor der Nase und die Lektüre so positioniert, dass jeder den Titel lesen und sich somit ein Bild von der Interessenslage der Dame machen kann. Männer hingegen schauen einfach in die Luft, essen ihren Burger oder trinken ihren Espresso und genießen die Ruhe. Ab und an sehen sie einer hübschen Frau hinterher, sind aber meist zu faul, um sie anzuquatschen. Denn wenn Mann alleine unterwegs ist, will Mann in der Regel auch alleine sein und es bleiben. Frau hingegen ist meist alleine unterwegs, um nicht länger alleine zu bleiben. Deshalb blinzelt sie auch jedem interessanten Typen über den Rand ihres Buches zu, um notfalls so zu tun, als hätte sie ein Problem mit der Kontaktlinse, wenn Mann nicht gleich anbeißt.
Ich kaufe zweihundertfünfzig Gramm feinsten Arabica-Espresso, schäkere ein wenig mit der Besitzerin, die ich schon lange kenne, und versuche wie immer geflissentlich die eifersüchtigen Blicke ihres Mannes zu übersehen.
»Und, was hast du heute noch so vor, Oliver?«, fragt Simona, während ich in meinem Portemonnaie krame.
»Ein bisschen recherchieren«, antworte ich zu meiner eigenen Überraschung. »Herausfinden, was Frauen wirklich wollen«, grinse ich. »Nein, das war ein Scherz. Ich bin auf der Suche nach männlichen Pendants zu Ildikó von Kürthy oder Gaby Hauptmann. Heiner, was meinst du? Würdest du so einen Roman lesen wollen?«
Heiner zuckt nur mit den Schultern und dreht sich um. Vielleicht kann Simonas Mann ja gar nicht lesen. Zumindest legt er scheinbar keinen größeren Wert auf Konversation, auch wenn ich seit Jahren hier treu und brav meinen Kaffee kaufe.
»Vielleicht solltest du zu Wrage in der Schlüterstraße gehen«, schlägt Simona vor und packt den Arabica sowie eine kleine Tafel Zartbitterschokolade in eine Elbtal-Papiertüte.
Wrage? Schlüterstraße? Sagt mir gar nichts …
»Wer oder was ist Wrage?«
Simona lacht, woraufhin sich Heiner endgültig verzieht. Vermutlich räumt er lieber das Feld, ehe er Mordgedanken gegen mich zu hegen beginnt oder gar in die Tat umsetzt.
»Das ist die esoterische Buchhandlung Hamburgs, gleich um die Ecke von der Uni.«
Esoterische Buchhandlung? Na, ich weiß nicht so recht … Eigentlich wollte ich einen Roman schreiben …
Da ein wenig Inspiration aber grundsätzlich nicht schaden kann, betrete ich wenig später das Mekka aller Esoterik-Freaks dieser Stadt und werde sogleich von Aromadüften und meditativen Klängen umhüllt. Ich schrecke kurz zurück.
Es ist eine Sache, ein bisschen auf Buddha-Feeling zu machen, wenn man im Purobeach-Club ist und das Ganze quasi zum Ambiente gehört. Es ist aber etwas völlig anderes, in diesem kleinen Laden mit einer geballten Ladung Eso-Literatur und Schnickschnack aller Art konfrontiert zu werden.
Meine Augen schweifen über zahllose Flyer, die in einem Hängeregal im Eingangsbereich zu Chakra-Workshops, ins buddhistische Zentrum, zu Familienaufstellungen oder Kontaktaufnahme mit Engeln einladen. Neben der Kasse befindet sich eine Vitrine mit Aromaölen, Räucherstäbchen und allerlei anderem Hexenwerk, mit dem man seine Aura stimulieren, sein Wohlbefinden steigern oder einfach nur jede Menge Kohle auf den Kopf hauen kann.
Wo bin ich hier bloß gelandet?
Eine freundliche Dame Mitte fünfzig geht - nein schwebt - auf mich zu und fragt mit strahlendem Lächeln, ob sie helfen kann.
»Äh, nein, ich glaube nicht«, stammle ich und liebäugle immer noch mit dem Gedanken, sofort die Flucht zu ergreifen. Ich ändere meine Meinung erst, als ich in der Nähe des Tisches mit Tarot- und Engelskarten eine zauberhafte junge Frau entdecke, genau mein Beuteschema. Ich pirsche mich unauffällig an die Kundin heran, verschanze mich hinter einem Bildband mit dem Titel Das Lächeln der Pferde (Wirklich!) und lasse die junge Frau nicht aus den Augen. Eine geschlagene Viertelstunde verbringt sie doch tatsächlich damit, sich alles akribisch durchzulesen, die Kärtchen zu befühlen und sogar zu beschnuppern,
wenn ich mich nicht verguckt habe. Würde die Dame sich mit ebensolcher Hingabe Erotik-Toys oder dem Playboy widmen, hätte das durchaus etwas Stimulierendes, aber für diesen Quatsch fehlt mir jegliches Verständnis. Ich sollte jetzt wohl besser gehen - das ist mir alles zu
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