Luegst du noch oder liebst du schon Roman
schier unbezahlbar sind. Deshalb wohne ich jetzt in Eimsbüttel, wo es mir mittlerweile genauso gut gefällt. Aber so oft ich kann, fahre ich hierher. Ich liebe die bunte Mischung von Freiberuflern, Familien, Kreativen und alteingesessenen Einwohnern. Wer hier lebt, ist meist kinderfreundlich, umweltbewusst und offen für Neues. In Ottensen stößt man immer wieder auf kreative Geschäftsideen, einer der Gründe, weshalb ich heute hier bin.
Ich habe eine Liste von Läden erstellt, deren Besitzer ich fragen möchte, ob sie Interesse an Pressearbeit haben. Bis heute Nachmittag will ich fünf Adressen besuchen, um herauszufinden, ob ich mich mit dieser Idee selbstständig machen könnte. Zu meinen potenziellen Kunden gehören Doppelpünktchen - Das Kinderzimmer, die Möbel aus umweltfreundlichen Materialien anbieten, eine Boutique mit ökologischer Babykleidung, eine Naturkosmetik-Praxis mit dem schönen Namen »Seelenzeit - Göttliche Kräfte im Alltag«, ein vegetarischer Steh-Imbiss sowie das Café Eisherz.
Um die Mittagszeit habe ich vom Herumlaufen wunde Füße, eine trockene Kehle vom vielen Reden und Appetit auf Pistazieneis, mein persönlicher Favorit im Eisherz.
Da meine Gespräche erfolgreich verlaufen sind, bestelle ich mir zur Belohnung zwei Kugeln in der Waffel und setze mich ins Café, obwohl alle Welt die begehrten Plätze an der Sonne bevorzugt. Während ich schwelge, beobachte ich belustigt Heerscharen von Müttern mit Kindern, die in das Eiscafé einfallen, um mit ihren Sprösslingen die Zeugnisausgabe zu feiern. Nachdem der größte Andrang sich gelegt hat, betritt eine äußerst attraktive, schwarzhaarige Frau das Café, die ein etwa sechsjähriges Mädchen an der Hand hat und ein Baby in einem Tuch vor sich herträgt.
Den dreien folgt - mir bleibt beinahe das Herz stehen - Oliver!
Reflexartig schnappe ich mir das auf dem Tisch liegende Hamburger Abendblatt und verschanze mich dahinter, so gut es geht.
»Lucia, Mäuschen, möchtest du lieber Spaghetti-Eis oder Stracciatella? Und du, Oliver? Nuss oder Pistazie?«, fragt die Frau mit charmantem italienischen Akzent. Lucias Antwort verstehe ich nicht, dafür Olivers umso deutlicher: »Zwei Kugeln Pistazie in der Waffel bitte. Ich muss nur kurz verschwinden, bin gleich wieder da.«
Ach du Schande! Wenn Oliver auf die Toilette will, muss er zwangsläufig an mir vorbei.
Hilfe! Und jetzt?!
Ich wende die Tageszeitung, um mich gegen den schmalen
Gang abzuschirmen, den Oliver auf dem Weg zu den WCs passieren muss. Ich halte den Atem an, als mir der Duft seines Aftershaves in die Nase steigt.
Vielleicht sollte ich versuchen, so schnell wie möglich zu zahlen und zu verschwinden, bis er wiederkommt? Nein, das ist zu riskant! Lieber sollte ich die Zeit dazu nutzen, mir Lucia, die Frau und das Baby genauer anzuschauen …
Lucia ist genau so, wie Mia sie mir beschrieben hat. Da sie der Frau sehr ähnlich sieht, kann das nur ihre Mutter sein. Auf einmal stolpert mein Herz ein zweites Mal. Dann hat Lucias Mutter ihre Auszeit im Kloster unterbrochen oder gar beendet, um ihre Tochter und ihren Mann zu besuchen! Allerdings passt das kleine Mädchen, dessen nackte Füßchen aus dem Tragetuch baumeln, weder ins Bild noch zu meiner Theorie. Der Größe nach zu urteilen ist die Kleine ein gutes Jahr alt, maximal anderthalb. Was entweder bedeutet, dass sie nicht ihre leibliche Tochter ist, oder aber - sehr viel wahrscheinlicher -, dass Oliver mich von vorne bis hinten belogen hat. Er ist gar kein alleinerziehender Vater, sondern lebt fröhlich mit Frau und Kindern zusammen.
Mir wird schlagartig übel.
Ich halte erneut den Atem an, als Oliver an mir vorbeigeht, aber diesmal, um zu verhindern, dass ich auf ihn losgehe und ihm eine Ohrfeige verpasse. Denn die hat er mindestens verdient. Schließlich hat er mit seinen miesen Spielchen nicht nur mich betrogen, sondern auch seine Familie.
Unfassbar, dass ich mit diesem Mann zusammen im
Urlaub war! Und ihm seine Lügenmärchen geglaubt habe wie ein Kleinkind an den Weihnachtsmann.
Jetzt kann ich nur noch hoffen, dass sich die vier schnell wieder auf den Weg machen, ich kann schließlich nicht den Rest des Nachmittags hinter der Zeitung verbringen. Außerdem muss ich Sammy spätestens um fünf bei Luca abholen.
Ich habe Glück und kann zehn Minuten später das Café verlassen. Bevor ich auf die Straße trete, sehe ich mich noch einmal hektisch um, nicht dass ich zwei Häuser weiter erneut über sie stolpere.
Wie in
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