Luegst du noch oder liebst du schon Roman
in meinem Sprachschatz. Es ist ja auch ein wenig antiquiert und klingt eher nach der weisen Frau aus dem Märchen als nach der hochattraktiven, die mir gerade gegenübersitzt. Diese Kombination bringt mich ein bisschen durcheinander, wenn ich ehrlich bin. Ob ich Samira sagen soll, welche Wirkung ihre Anwesenheit (und ihr enges, türkisfarbenes Kleid) auf mich ausüben?!
»Bist du deshalb gekommen?«, fragt meine Therapeutin,
deren Augen durch die Farbe ihres Kleides beinahe unnatürlich blau wirken.
»Äh, weshalb?«, frage ich tumb, denn ich hatte plötzlich eine Vision, wie ich mich zusammen mit Samira auf der einladend wirkenden Liege wälze, die im hinteren Teil des Raumes steht. Was sie wohl unter diesem sensationellen Stretchteil trägt?
»Wegen der Barrieren?«
Jetzt klingt sie schon ein wenig strenger als eben. Vielleicht sollte ich mich besser auf den eigentlichen Grund meines Besuches besinnen: die Loslösung von einer Frau namens Franca Peters, die mir das Herz gebrochen hat.
»Genau! Ich habe da eine Blockade, die ich gerne lösen würde.«
»Irgendwelche körperlichen Symptome? Herzrasen? Schweißausbrüche? Schlaflosigkeit?«
Es fällt mir schwer, diese Begriffe nicht mit einer äußerst angenehmen Variante von Muskelspielen in Verbindung zu bringen, zu der ich momentan mehr Lust hätte als zum kinesiologischen Muskel-Test.
»Nein, eigentlich nicht. Ich neige zum Glück nicht dazu, zu somatisieren.«
Vielleicht kann ich Samira mit meinem Fach-Vokabular imponieren!
»Umso besser für dich. Dann würde ich vorschlagen, dass du dich hinlegst und einen Moment tief durchatmest, ich bin gleich wieder zurück.«
Auf einem Beistelltischchen neben der Liege befinden sich viele interessante Gegenstände, die mir zuvor gar nicht aufgefallen waren: Brillen in unterschiedlichen Farben,
kleine Fläschchen mit undefinierbaren Tinkturen, Gläschen mit weißen Kügelchen, von denen ich vermute, dass es sich um Globuli handelt.
»So, da bin ich wieder«, erklärt Samira wenig später und beugt sich über mich. Zu unser beider Glück trägt sie jetzt über ihrem Kleid einen weißen, bis oben hin zugeknöpften Kittel.
»Bitte leg beide Arme neben deinen Körper und versuch, dich zu entspannen.«
Haha, sehr lustig!
Samiras Oberweite ist leider auch in diesem Kittel nicht zu übersehen, und ihr Duft (doch keine Räucherkerze!) raubt mir schier den Verstand. Was ist das für ein Teufelszeug? Patschuli? Moschus?
Doch am schwierigsten ist es, ihre Lippen zu ignorieren. Voll, sinnlich - die reinste Aufforderung!
»Und jetzt heb bitte deinen linken Arm!«
Ich folge brav der Anweisung und genieße ihre Berührung. Sie hält meinen Arm und drückt mit ihrer Hand leicht dagegen. »Okay, es kann losgehen. Du solltest jetzt eine Frage zu deinem Thema stellen. Formuliere sie so, dass man sie nur mit Ja oder Nein beantworten kann!«
Ich überlege kurz. Irgendwie ist es mir unangenehm, mein Liebesdesaster mit Franca vor dieser Traumfrau auszubreiten. Schließlich möchte ich mich meiner Chancen nicht schon im Vorfeld berauben. Weshalb habe ich Blödmann eigentlich diesen Termin vereinbart? Ich wusste doch, wie attraktiv Samira ist! Was habe ich mir nur dabei gedacht?!
Vertreibung von Langeweile … das war meine ursprüngliche
Intention. Meine neue ist, mir einen Weg in Samiras Herz zu bahnen, oder zumindest in ihren sexy Kittel.
»Es ist gut, wenn du dir Zeit lässt, Oliver«, ertönt ihre Stimme an meinem Ohr. Weich, samtig, warm …
In meinem Kopf herrscht totale Leere. Ich drehe gleich durch. Warum fällt mir denn keine Frage ein?
»Lass es fließen, wir haben alle Zeit der Welt.«
Haben wir? Ja klar, bei einem Honorar von einhundertzwanzig Euro die Stunde würde ich meine Kunden auch dazu motivieren, in aller Ruhe auf den Flow zu warten.
»Ich sehe schon, du kämpfst immer noch mit deinen Barrieren. Ich hätte eine Idee, wie ich dich von ihnen befreien könnte.«
Ich bin gespannt, was jetzt kommt. Wird Samira für mich strippen?
Nein, wird sie nicht.
Stattdessen sitzt eine dieser bunten Puck-die-Stubenfliege-Brillen auf meinem Nasenrücken. Die standen schon Paris Hilton nicht besonders gut, was machen sie dann erst mit mir? Mir wird ganz schwindelig, denn die Gläser sind violett gefärbt.
»Ich … ich versteh nicht«, stammle ich und spüre, wie sich gerade ein großes Stück meiner Würde verabschiedet. Ich habe leider keine Zeit, ihr angemessen Lebewohl zu sagen, denn ich lausche Samiras
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