Luftschlösser
lächelte nur ihr Mund. Traurige Augen, irgendwie glanzlos. Ihr Äußeres drückte nichts als Selbstbeherrschung und Zurückhaltung aus. Und sie trug keine bunten Kleidungsstücke. Auf allen Fotos trug sie weiß oder crème in Kombination mit schwarz, dunkelbraun, dunkelblau oder grau. Kein Schmuck. Oder zumindest fast keiner. Erst recht kein Ehering. Wer war diese Frau und was hatte sie mit der kleinen Sephi angestellt? Charles schaute auf seine Armbanduhr. Kurz vor elf. Höchste Zeit, ins Bett zu gehen.
***
Als Charles Manning am nächsten Morgen seinen Jaguar vor dem neu errichteten Wohnhaus abstellte, war es zehn Minuten vor sechs und Persephone wartete bereits am Eingang auf ihn.
„Guten Morgen!” Er verstaute den Autoschlüssel in seiner Jackentasche und fuhr sich durch die Haare.
„Guten Morgen.”
Sie ließ sich die Tür aufhalten und folgte ihm in den Fahrstuhl. Der oberste Knopf im Inneren trug die Bezeichnung ‘Penthouse’. Charles drückte darauf, gab einen Zahlencode in das Tastenfeld ein und wartete in unbehaglicher Stille, bis sie ihr Ziel erreicht hatten. Er schloss die Tür auf und ließ seine Innenarchitektin vor sich in die untere Etage dessen eintreten, was einmal seine neue Wohnung werden sollte. Momentan, fand er, sah das Apartment in bester Lage noch aus wie eine unbenutzte Lagerhalle. Dem riesigen Raum fehlten Wände. Ein paar massive Stützpfeiler und zwei, drei tragende Wände waren alles, was diesen Wohnraum von einem Großraumbüro unterschied. Die Fensterfronten zu beiden Seiten, die einen atemberaubenden Blick auf die Stadt gewährten, versöhnten Charles jedoch sofort mit dem tristen Anblick seiner neuen Herberge.
Persephone war an der Eingangstür stehen geblieben und betrachtete die Etage. Sie drehte sich etwas nach rechts, dann wieder nach links, schaute hinauf zur Decke und ließ ihren Blick über den kargen Betonfußboden schweifen.
„Ein Glücksgriff”, murmelte sie.
„Ist es... ich meine, kann man was damit anfangen?”, fragte Charles nervös.
Während sie in ihrer Handtasche herumkramte, antwortete Persephone mit dem Hauch eines Lächelns: „Man kann alles damit anfangen. Der Architekt versteht sein Handwerk.” Sie beförderte ein Lasermessgerät und einen Schreibblock samt Stift aus ihrer Tasche und legte sie auf dem Fußboden ab.
Charles kannte diese Tasche. Die cognacfarbene Birkin Bag hatte früher Sephis Mutter gehört. Er erinnerte sich daran, dass eine seiner Freundinnen sich verzweifelt darum bemüht hatte, auf der Warteliste für diese Taschen nach vorn gerückt zu werden und griff nach den Henkeln, um sie auf dem breiten Fensterbrett abzustellen. Persephone unterbrach das Ausmessen des Raumes, mit dem sie gerade begonnen hatte, und warf ihm einen irritierten Blick zu.
„Der Fußboden ist nicht der richtige Platz für etwas so Wertvolles”, meinte er entschuldigend und schenkte ihr einen der Blicke, mit denen er die Menschen immer wieder in seinen Bann zog - offen und durchdringend.
Sie nickte und versuchte, sich wieder auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Den unangenehmen Stich, den sie bei Charles’ Blick in ihrer Brust gefühlt hatte, ignorierte sie.
Es kostete Persephone eine Stunde pro Stockwerk, die Grundfläche genau zu vermessen, alles in Bildern festzuhalten und sich Gedanken über das künftige Aussehen der Wohnung zu machen. Charles saß die ganze Zeit über schweigend auf der Fensterbank und beobachtete sie. Seine Betrachtungen wurden nur durch die Fragen unterbrochen, die sie ihm ab und an stellte. Wie er sich den Boden vorstelle? Ob Wohnraum und Küche voneinander abgetrennt werden sollten? Wie viele Schlafzimmer und wie viele Bäder er haben wollte? Wo überhaupt das Wohnzimmer sich befinden solle? Manning gab sich mit seinen Antworten größte Mühe und dachte über alle Möglichkeiten ernsthaft nach. Er hatte begriffen, dass er es hier mit einer Fremden zu tun hatte. Und Fremde, insbesondere Geschäftspartner, behandelte man mit Respekt.
Irgendwann hatte sie den Trenchcoat, der sie vor der morgendlichen Luft schützen sollte, ausgezogen und neben ihrer Handtasche auf dem Fenstersims abgelegt. Aha, der Carolina-Herrera-Look, dachte Charles. Weiße Bluse, schwarze Hose, schwarze Brogues. Klassisch… und irgendwie sexy. Der Duft der dem Mantel entstieg, war an diesem Morgen allerdings ganz eindeutig Chanel. No. 19, wenn er sich nicht irrte. Er mochte Frauen, ihre Kleidung und Düfte. Schon allein deshalb interessierte er
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