Lukianenko Sergej
ganzes Leben
beschrieben!«
»Echt?«, fragte Ian begeistert. »Zeigst du es mir mal?«
Trix legte das Buch auf den Tisch. »Aber rühr es nicht
an!«, sagte er.
»Gut.« Ian starrte das Buch an. »Gibt es Bilder?«
»Nein.«
»Schade.«
»Du, hör mal, Ian«, hielt Trix es nicht mehr aus.
»Ich habe es durchgeblättert … ein bisschen nur … und
dabei …«
Er erzählte Ian kurz, was er in dem Buch gelesen hatte.
»Und was stand auf den beiden Seiten?«, wollte Ian
wissen.
»Die habe ich natürlich nicht gelesen!«
»Blödmann!«
»Das wäre unschön! Sie hat doch gesagt, dass sie das
nicht will!«
»Was hat sie gesagt? Sie will es nicht oder sie hat
Angst?«
»Also … sie hat Angst.«
»Das ist ein großer Unterschied«, belehrte ihn Ian.
»Wenn eine Frau sagt, dass sie nicht will, heißt es, sie hat
Angst. Aber wenn sie sagt, sie hat Angst …«
»Heißt es, sie will nicht?«
»Nein! Im Gegenteil! Wenn eine Frau sagt, sie hat
Angst, heißt es, sie will es!«
Trix dachte nach. »Bist du sicher?«
»Absolut!«, sagte Ian. »Das hab ich von meinem Papa
gehört. Und der war nicht doof. Er hat immer nur ungekochtes Wasser getrunken, er hat gesagt, das ist gesünder.«
»Wenn eine Frau sagt, sie möchte etwas nicht, heißt
es, sie hat Angst davor, aber wenn sie sagt, dass sie
Angst davor hat, heißt es, sie möchte es«, wiederholte
Trix. »Irgendwie komisch. Aber überzeugend.«
»Mannomann! Du tanzt ja völlig nach ihrer Pfeife!«,
grinste Ian. »Du bist in sie verliebt, stimmt’s? Willst du
sie heiraten?«
»Hör auf damit!«, rief Trix. »Ich erfülle nur meine
Pflicht als Ritter!«
»Quatsch«, entgegnete Ian. »Sieht doch jeder, dass du
in sie verknallt bist. Warum auch nicht? Sie ist Waise, du
bist Waise. Ihr seid beide adlig. Außerdem hast du ihretwegen schon eine Heldentat vollbracht!«
»Stimmt, in den Chroniken wird danach immer geheiratet«, gab Trix zu. »Normalerweise heißt es: Kaum hatte
unser Held den Drachen besiegt, da begab er sich in die
Gemächer der wunderschönen Dame. Danach war er als
Mann von Ehre verpflichtet, sie zu heiraten …«
»Siehst du!«, rief Ian. »Also lies schon!«
Trix zögerte. »Wir sollten lieber auf Nummer sicher
gehen«, sagte er schließlich. »Und eine Frau fragen.«
»Wo willst du denn jetzt eine Frau hernehmen? Die
beiden hässlichen Hofdamen sehen nicht mal wie Frauen
aus, außerdem schlafen sie wie die Murmeltiere.«
»Und die Fee? Die ist schließlich kein Junge. Wo ist
Annette?«
»Vorhin saß sie bei Bambura auf der Schulter und hat
auf dich geschimpft. Sie ist auch verliebt«, bemerkte Ian
etwas unzusammenhängend.
Trix runzelte die Stirn. »Annette!«, rief er laut. »Annette, Fee, dein Gebieter ruft dich!«
Leise Flügelschläge waren zu hören und durch das offene Bullauge kam die Fee hereingeflogen. »Du brauchst
nicht so zu schreien!«, fuhr sie ihn an.
»Annette, willst du, dass ich dich küsse?«, fragte Trix.
Die Fee schwirrte in der Luft auf und ab. Sie wurde rot
wie Mohn. »Ich habe Angst, dass …«, sagte sie leise.
»Also willst du es«, sagte Trix nachdenklich. »Und
willst du, dass ich mich mit Tiana anfreunde?«
»Nein!«
»Also hast du Angst«, folgerte Trix. »Scheint also zu
stimmen. Annette, meine Liebe, flieg bitte zu Paclus. Sie
sollen sich beeilen. Wir müssen zurückkehren.«
»Für dich tu ich doch alles!«, flötete die Fee und flog
aus der Kajüte.
»Siehst du!«, sagte Ian stolz. »Ich habe dir doch gesagt, mein Papa war nicht doof, nur …«
»Nur hat er das Wasser vorm Trinken nicht abgekocht«, sagte Trix. »Gut! Schweig jetzt!«
Vorsichtig schlug er das Buch auf der Seite 206 auf
und fing an zu lesen:
Den ganzen Tag über, vom frühen Morgen bis zum
späten Abend, saß die Fürstin an ihrer Stickerei. Sie
stickte siebenundvierzig Margeriten, vier Lilien und drei
Vergissmeinnicht. Die Vergissmeinnicht waren am
schwierigsten …
»Was ist das denn für Unsinn?!«, rief Trix, als er die
Seite zu Ende gelesen hatte. »Sie sitzt da und stickt!«
»Was?«
»Blumen!«
Er las noch die Seite davor und die danach, stieß aber
weder auf etwas Interessantes noch auf etwas über ihn.
Auf der Seite 207 wusch sich die Fürstin zwar und ging
ins Bett, aber das war so knapp und keusch beschrieben,
dass es niemanden in Verlegenheit bringen konnte. Nun
schlug Trix noch die Seite 308 auf. Hier wartete eine
lange und langweilige Beschreibung eines Hofballs auf
ihn. Tiana konnte nicht einmal tanzen, weil sie sich das
Bein verrenkt
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