Lukianenko Sergej
vieles erfolgreich vergessen hatte. Aber wenn er sich
nicht täuschte, saßen auf neuen Flöten Kappen aus Kupfer. Das schied also aus. Auf den alten saßen jedoch
Kappen aus Knochen und Leder. Bestens!
… aus wohlriechendem Sandelholz, wertvollem Elfenbein und zartem Kalbsleder.
»Hmm«, sagte Paclus, der ihm über die Schulter guckte,
die Lippen bewegte und den Text las. »Weißt du, Trix,
ich bin natürlich kein Zauberer … und ich erkenne ja
auch den Stil von Sauerampfer …«
»Stimmt etwas nicht?«, fragte Trix gekränkt.
»Also …« Paclus machte einen Rückzieher. »Du wirst
schon wissen, was du tust.«
Trix las den Spruch noch einmal durch und war zufrieden. »Bist du bereit, Tiana?«, fragte er.
»Ja, Trix«, antwortete sie tapfer. »Ich bin bereit.«
»Der junge Zauberer sprach die Worte des Zauberspruchs und das wunderbare Mädchen verwandelte sich.
Was vertreibt dem Magier die Einsamkeit? Was kann
sprechen, auch wenn es keine menschliche Stimme besitzt? Was ist der beste Freund in besinnlicher Stunde,
was unterhält und gibt Anlass zum Nachdenken, was erlaubt es, alle Gefühle auszudrücken, die ein Mensch
empfinden kann, was erlaubt es, eine andere Seele zu
verstehen? Anstelle der zarten Schönheit sah er die
Schöpfung eines Meisters vor sich, geschaffen aus wohlriechendem Sandelholz, wertvollem Elfenbein und zartem Kalbsleder.«
Tiana hüllte sich in funkelndes rosafarbenes Licht. Ein
zarter Geruch hing in der Luft. Dann verblasste das
Leuchten – und das rosafarbene Kleid aus Brokat fiel zu
Boden. Auf ihm lag etwas. Trix beugte sich darüber –
und schrie verblüfft auf.
»Halb so wild.« Paclus legte ihm die Hand auf die
Schulter. »Ich habe schon wiederholt erlebt, dass allzu
blumige Zaubersprüche nicht zum Ziel führen. Aber du
hast sehr schöne Worte gefunden …«
»Du hast bloß nicht einmal gesagt, dass sich Tiana in
eine Flöte verwandeln soll«, mischte sich Krakritur ein.
»Du hättest es schlichter ausdrücken sollen«, sagte Paclus. »Präziser. Ich bin ja nur ein einfacher Mann … aber
ich hatte gleich den Eindruck, dass du nicht von einer
Flöte sprichst.«
»Und ich habe am Anfang gedacht, es geht um eine
Kriegstrommel«, gab Krakritur zu. »Aber die werden
nicht aus Sandelholz gemacht.«
»Aber eigentlich ist die Variante doch gar nicht
schlecht, oder?«, munterte Paclus Trix auf, dem es die
Sprache verschlagen hatte. »Und alles stimmt. Es unterhält dich, es gibt Gefühle wieder und vertreibt die Einsamkeit. Und es kann sprechen, auch wenn es keine
menschliche Stimme hat. Es ist nicht sehr groß. Also im
Grunde hat alles wunderbar geklappt.«
Vorsichtig nahm Trix ein kleines, in helles Leder gebundenes Buch in die Hand, auf dem in Buchstaben aus
Elfenbein TIANA stand. Mit einem Seufzer schlug er die
erste Seite auf und las:
Die Fürstin Tiana erblickte das Licht der Welt um
halb vier Uhr in der Früh, was ihrer Mutter recht ungelegen kam, hatte diese doch bis Mitternacht auf einem
Ball getanzt. Die Hebamme rieb das Kind mit einem sauberen Tuch ab, hielt es unter eine Lampe, sah genau hin
und sagte: »Verzeiht, Eure Durchlaucht, aber das ist ein
Mädchen!« Der Fürst Dillon, der an der Tür zum Schlafgemach mit seinen Trinkgenossen gewartet hatte, hörte
diese Worte und stieß einen schweren Klagelaut aus.
Trix wurde rot und klappte das Buch zu. Behutsam
steckte er es sich unter den Umhang und drückte es mit
dem Ellbogen gegen die Seite. Es war schwer und
warm.
»Ende gut, alles gut«, sagte Paclus gelassen. »Hilfst du
uns, die Schätze wegzutragen?«
»Nein … ich schicke euch besser jemanden«, sagte
Trix und senkte verlegen den Blick. »Ich … ich gehe
nach oben. Ich bitte jemanden runterzukommen.«
»Schick Maichel!«, bat Krakritur. »Er weiß am besten,
was sich lohnt und was nicht.«
An Deck der Abdecker war es ruhig und still. Ein paar
der schnarchenden Seeleute lagen immer noch im Kreis
ums Hauptsegel. Hallenberry strich um sie herum und
blickte blutrünstig und mit dem Hammer in der Hand auf
die reglosen Feinde. »Klaro!«, rief er aufgeregt, sobald er
Trix sah. »Du hast Tiana gefunden?«
»Ja«, antwortete Trix. »Es ist alles in Ordnung.«
»Und in wen hast du sie verwandelt?«
»Das ist ein Geheimnis«, sagte Trix. »Warum rennst
du hier rum?«
»Wo die hier so schön liegen, da …« Hallenberry brei
tete die Arme aus.
»Wag es ja nicht!«, drohte ihm Trix mit dem Finger.
»Klaro«, sagte Hallenberry traurig und
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