Lukianenko Sergej
versteckte den
Hammer hinterm Rücken. Er ging an die Reling und war
sofort wieder frohgemut, als er ein paar schlecht eingeschlagene Nägel entdeckte. Begeistert machte er sich
daran, sie zu versenken.
Trix ging zur Mannschaft, schickte Maichel nach unten und begab sich selbst wieder auf die Tintenfisch und
dort in die Kapitänskajüte. Nach kurzer Überlegung
schob er den Riegel vor, wischte den Tisch mit dem Ärmel sauber und legte das Buch Tiana darauf. Mit dem
Finger fuhr er über den Einband – und zog entsetzt die
Hand weg. Rasch ging er zur Waschschüssel, wusch sich
die Hände und kehrte an den Tisch zurück. Vorsichtig
schlug er das Buch irgendwo am Anfang auf.
Tiana rannte über eine Wiese, was mit ihren kurzen Beinen in dem hohen Gras nicht einfach war. Sie sah eine
prachtvolle Kamille, schnupperte daran und pflückte sie.
Dann rannte sie weiter. Sie sah eine zweite wunderbare
Kamille, schnupperte daran und pflückte sie. Sie sah sich
um. Ihre Mutter und die Hofdamen waren weit weg, mindestens zehn Schritt. Tiana rannte zurück. Sie sah eine
weitere herrliche Kamille, schnupperte daran …
Für alle Fälle warf Trix noch einen Blick auf die nächste Seite, seufzte und blätterte zwanzig Seiten vor. Wenigstens schien das Buch Tianas Leben nicht Minute für
Minute nachzuerzählen – dann wäre es ja ein dickes Ding
gewesen! –, sondern nur die wichtigsten Ereignisse. Trix
war bloß mit der Auswahl nicht immer einverstanden.
Diese gemeine, gemeine, gemeine Kinderfrau! Ich bin
die Fürstin – und musste in der Ecke stehen! Wenn ich
groß bin, werde ich die Kinderfrau in einen Turm stecken,
da soll sie ruhig weinen!
»Lies noch ein bisschen weiter, liebe, liebe Kinderfrau!«,
flehte Tiana. »Ich möchte wissen, ob der Prinz die schöne
Prinzessin rettet oder ob der Drache ihn frisst!«
Dieser ungeschickte Junge hatte Tiana auf Anhieb gefallen. Obwohl er so frech war, sie überhaupt nicht zu beachten, sondern lieber mit den Knappen im Hof spielte
oder sich in der Bibliothek verkroch. Trotzdem ging Tiana
immer zu ihm, klimperte mit den Wimpern wie die erwachsenen Hofdamen und sagte: »Mir ist langweilig,
edler Jüngling, unterhaltet mich!« Der Junge setzte sofort
eine schmerzliche und entrüstete Miene auf, fing aber
immerhin an, ihr eine Geschichte zu erzählen (auch wenn
er dabei traurig zum Fenster hinaussah) oder brav mit
den schönen Puppen Tianas zu spielen. Das hatte er davon, dieser eingebildete Co-Herzog!
Trix wurde rot. Das war ja über ihn! Über seinen Besuch in Dillon! Tiana erinnerte sich an ihn und er hatte
ihr sogar gefallen! Wer hätte das gedacht? Er strich sich
über die Haare und wischte sich die feuchten Hände am
Umhang ab. Dann schlug er die letzte Seite auf.
Tiana hatte entsetzliche Angst, ließ sich das aber nicht
anmerken. »Verwandel mich in ein Musikinstrument! In
eine Pfeife oder Flöte«, sagte sie, und mit stockendem
Herzen stellte sie sich vor, wie dieser lustige, in sie verliebte Junge die Flöte mit seinen vollen Lippen berühren
würde. Aber dann kam alles ganz anders! Dem Jungen
missglückte der Zauberspruch, und er verwandelte sie
nicht in eine Flöte, sondern in ein Buch. In ein magisches
Buch, das ihr ganzes Leben beschrieb! Er drückte das
Buch an seine Brust, gegen sein wild hämmerndes Herz,
eilte auf sein Schiff und machte sich daran, es zu lesen.
Und es kam ihm überhaupt nicht in den Sinn, dass das
ein sehr unschönes Verhalten ist, dass es sogar schlimmer ist, als die Fürstin mit Gewalt einem Vitamanten zur
Frau zu geben! Vor allem fürchtete Tiana, dass Trix die
Seite 206 oder die Seite 308 lesen könnte … Trix schlug
das Buch zu. Sein Herz hämmerte wirklich wie wild.
»Ich werde sie nicht lesen«, versprach er. Und sofort verspürte er den heftigen Wunsch, ausgerechnet diese beiden Seiten zu lesen!
Jemand klopfte sanft an die Tür. Trix fuhr zusammen,
versteckte das Buch unterm Umhang und öffnete die Tür.
Es war Ian.
»Warum schließt du dich ein?«, fragte er.
»Äh … also …«
»Und warum in der Kapitänskajüte?«
»Hort holt noch die Schätze und hier ist es hell und der
Tisch groß.«
Ian setzte sich an den Tisch und sah Trix an. »Und?
Habt ihr Tiana gefunden?«
»Hm.«
»Und in was hast du sie verwandelt?«
»Das geht dich nichts an!«
Ian schnappte ein.
»In ein Buch«, sagte Trix einlenkend, verriet aber
nicht, dass es nur durch Zufall so gekommen war. »In ein
Buch mit dem Titel Tiana. Da drin ist ihr
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