Lukianenko Sergej
aber mit hübschen
Töchtern. Ich empfehle dir, die jüngste zu wählen, die
werden in der Regel am meisten geliebt und verwöhnt.
In zwanzig, dreißig Jahren bist du so reich, dass du bei
mir, dann einem Greis, jederzeit unaufgefordert hereinplatzen kannst.«
Die selbstsichere Stimme des Barons hatte auf Trix eine
einlullende Wirkung, fast als verstünde der Mann etwas
von Zauberei. Mit offenem Mund starrte Trix den Baron
an. Durch seinen Kopf zogen wirre Bilder: die Lehre in
einem Laden für Kräuter; ein blendend blauer Himmel in
wilden, heißen Ländern; erfolgreiche Geschäfte; ein einstöckiges Steinhaus mit Garten und einem Wasserbecken;
eine hübsche junge Frau und eine eigene Kutsche …
»Aber was wird dann aus meiner Rache?«, fragte Trix.
»Ich will den Thron meines Vaters zurück! Ich bin kein
Kaufmann, ich bin der Nachfahre kühner Ritter!«
»Ein Ritter, ein Kaufmann – was spielt das für eine
Rolle?«, rief Galan. »Mit einem Sack Gold kannst du
mehr Menschen töten als mit Lanze und Schwert. Gris
stammt von Kaufleuten ab und er hat deinen Vater nach
Strich und Faden reingelegt.«
»Aber ich habe geschworen, mich zu rächen!«, knurrte
Trix.
»Und ich habe in meiner Jugend geschworen, Lunida
Solier zu heiraten«, hielt Galan grinsend dagegen. »Ja und?
Gleich bringt dich jemand zum Steg hinunter, setzt dich ins
Boot und drückt dir den Empfehlungsbrief in die Hand.
Mir bleibt nichts, als dir eine gute Reise zu wünschen!«
Trix schwieg.
»Du hältst mich für ungerecht?«, fragte der Baron
sanft. »Du naiver Junge! Ich bin klug, gut und taktvoll.
Ein anderer an meiner Stelle hätte dich im Fluss ertränkt.
Oder, wenn er sehr dumm ist, an Gris ausgeliefert.«
»Warum muss man dafür sehr dumm sein?«, fragte
Trix.
»Ich glaube nicht, dass du geflohen bist. Gris hat dich
wahrscheinlich laufen lassen. Bestimmt führt er irgendwas im Schilde.« Der Baron kniff die Augen zusammen.
»Hör mal, du wirst doch jetzt nicht weinen! Du bist fast
erwachsen, du solltest deine Gefühle beherrschen.
Glaubst du, für mich ist das einfach? Aber heule ich?
Eben!«
Jemand klopfte an die Tür. Auf eine Geste des Barons
hin öffnete Ian. Es war die Baronin, die eine versiegelte
Schriftrolle in der Hand hielt. »Ich bin fertig«, sagte sie
kalt, ohne die Jungen eines Blickes zu würdigen. »Für
wen sollte ich das schreiben?«
»Für Trix«, sagte der Baron fröhlich. »Für den echten.
Der, der den Knappen mimt.«
»Das Äußere habe ich ohnehin nicht beschrieben«, erklärte die Frau gleichgültig. Sie reichte dem Baron die
Rolle. Mit einem Blick auf die Flasche murmelte sie:
»Trink nicht wie ein Schwein, sonst musst du bei den
Dienern schlafen!«
»Ach ja, die Diener …«, sagte der Baron, sobald die
Tür hinter der Baronin ins Schloss fiel. »Ich bring dich
besser selbst zum Boot, Trix.«
»Nicht einmal über Nacht darf ich bleiben?«, fragte
Trix empört. »Nennt Ihr das vielleicht Gastfreundschaft?«
Seufzend schüttelte der Baron den Kopf. Er gab Trix
einen leichten Klaps in den Nacken. »Er ist ein undankbarer Junge, oder?«, wandte er sich an Ian. »Trix! Stell
meine Geduld nicht auf die Probe! Komm!«
»Darf ich Trix … ich meine, Ian, mit zum Boot bringen?«, fragte Ian plötzlich.
Der Baron sah ihn aufmerksam an. »Du bist nicht
dumm«, bemerkte er, während er den Kerzenhalter vom
Tisch nahm. »Auf deine Art sogar ehrlich. Natürlich
kannst du mitkommen.«
Der Baron und Trix’ – ehemaliger! – Knappe gingen
durch den leeren, dunklen Gang voraus, er selbst stapfte
ihnen nach. Ihm war zum Heulen zumute. Der Baron dagegen schien bester Laune, summte ein Lied vor sich hin,
wobei er immer wieder Wörter ausließ, die er durch
»pam«, »pam-pam« und »pampampam« ersetzte:
»Retaler, der ruhmreiche Baron, möcht einsammeln
die Kronen/Vasallen und pampampam, diesmal gedenkt
er keinen zu schonen/Die pampam forsch gekratzt, macht
er sogleich sich auf die Reise/Träumt davon, pam oder
Lanze zu gebrauchen in zünft’ger Weise.«
Der Baron ist wirklich taktvoll, dachte Trix. Wenn
sein Vater sich mit seinen Freunden betrank, sparte er
beim Lied über den Baron Retaler kein Wort aus.
Am Pier taten neue Wachposten Dienst, die sich beim
Erscheinen des Barons unverzüglich ins Schloss zurückzogen. Anscheinend war das vorab besprochen worden.
Der Baron ging mit den beiden Jungen zum Boot, das
noch an seinem alten Platz lag. Er wies mit dem Finger
auf den Sack darin.
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