Lukianenko Sergej
erdulden: einen Rotschimmel, einen Rappen, einen
Schecken und einen Goldfuchs. Danach hatte Dekaran,
der derweil den Knappen gespielt hatte, die Gebeine von
Granis in sein Stammschloss bringen lassen, seinen Vasallen von gar wundersamer Rettung erzählt, eine neue
Armee um sich geschart und sich sofort für den Tod des
tapferen Knappen rächen wollen, wenn nicht leider gerade
eine Choleraepidemie ausgebrochen wäre.
»Hier!«, flüsterte Ian und reichte Trix einen halb leeren
Becher. »Willst du auch Huhn?«
Aus seinen Überlegungen gerissen, trank Trix gierig
den leichten Wein. Verstohlen blickte er sich um. Niemand achtete auf sie, offenbar weil Galan selbst das nicht
tat, denn er war voll und ganz damit beschäftigt, das
Maul eines jungen Windhundes, der aus dem Hundezwinger gebracht worden war, zu inspizieren. Mit dem
Gebiss zufrieden, strahlte er übers ganze Gesicht. Einen
zweiten Welpen würdigte Galan keines Blickes, sondern
befahl gleich, ihn den Förstern zu überlassen – der Baron
war nicht ohne Grund für seine Güte bekannt: Jeder andere hätte befohlen, den Rassehund zu ertränken, anstatt
das Tier den Dienern zu schenken.
»Gib mir die Keule!«, verlangte Trix. »Und Brot!
Weißes!«
Falls jemandem auffiel, dass der wie durch ein Wunder gerettete Co-Herzog seinen Knappen mit allzu guten
Happen bedachte, verlor er kein Wort darüber, sodass
Trix seinen Hunger stillen konnte.
Einmal brachte der Baron einen Toast aus, aber nicht
auf Trix oder seine toten Eltern, sondern »auf die Gerechtigkeit!«. Trix redete sich zwar ein, der Toast gelte
auch seiner Rettung, wurde mit einem Mal aber ganz
traurig. Das Essen zog sich hin, obwohl nach dem Huhn
kein weiterer Gang folgte. Die Kinder wurden irgendwann hinausgebracht, die Erwachsenen tranken Wein.
Trix und Ian schienen zwischen Kinder und Erwachsene
geraten: Niemand jagte sie fort, es schenkte ihnen aber
auch niemand Wein nach. Erst als Ian laut gähnte, nahm
ihn der Baron wieder zur Kenntnis.
»Unsere jungen Gäste sind müde«, erklärte er feierlich. »Ligar, bring sie ins große Gästezimmer!«
Der Hauptmann der Wache nickte seinem Herrn zu
(anscheinend ging es beim abendlichen Gelage ziemlich
locker zu) und drehte sich zu den Jungen um. Ian sprang
erleichtert auf und Trix konnte sich endlich die Beine
vertreten. Stocksteif auf der Stelle zu stehen strengt nämlich viel mehr an als ein langer Fußmarsch.
»Ich danke Euch, Eure Durchlaucht!« Wein und Essen
hatten Ian kühn gemacht, er spielte die Rolle des CoHerzogs jetzt schon viel überzeugender. »Vor dem Einschlafen werde ich zum Herrn beten, damit er Euch für
Eure Gastfreundschaft belohnt!«
Trix guckte immer finsterer drein, verlor jedoch kein
Wort.
Ligar, der hinter den Jungen zur Tür ging, murmelte
aber: »Gut gesprochen – für eine Waise von niederem
Stand.«
Daraufhin sah Trix Ligar verstohlen an. Sie hatten den
Bankettsaal bereits verlassen und gingen einen dunklen
Gang hinunter. Das Mondlicht, das durch die schmalen
Fenster und Schießscharten fiel, sorgte dafür, dass sie
nirgends anstießen. Um richtig gut sehen zu können, hätten sie eine Kerze gebraucht, aber die Diener des Barons
waren offenbar daran gewöhnt, ohne diesen Luxus auszukommen.
Das feuchte Schilfrohr, mit dem der Fußboden ausgelegt war, gab schmatzende Geräusche von sich. Nach
Trix’ Dafürhalten hätte es längst ausgetauscht werden
müssen. Was ja wohl auch kein Problem sein dürfte, bei
einem Schloss direkt am Fluss! Aber entweder sparte der
Baron sogar am Ried, oder es war ihm völlig egal, was
unter seinen Füßen lag: frisches grünes Schilf oder ein
Brei aus Dreck und faulem Holz.
»Ihr habt mich also erkannt, Hauptmann?«, fragte Trix.
»Als der Co-Herzog Solier mit seiner Familie unser
Schloss beehrte, war ich die rechte Hand des damaligen
Hauptmanns«, antwortete Ligar ausweichend.
»Hat der Baron … mich Knappe genannt, um mich zu
schützen?«
»Kann sein.« Ligar runzelte das narbenreiche Gesicht.
»Der Baron ist klug. Viel klüger, als seine Nachbarn
glauben.« Er verstummte, offenbar wollte er sich nicht
verplappern. Als sie das Gästezimmer erreicht hatten,
fügte er allerdings hinzu: »Und viel ärmer. Fünf Jahre
schon haben wir nichts als Pech. Räuber kommen aus
den Bergen und rauben die Karawanen aus, denen der
Baron Schutz versprochen hat. Zwei Magier haben bei
einem Streit eine Silbermine verschüttet und einen wertvollen Sandelholzwald abgefackelt. Dann
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