Lukianenko Sergej
IST DUM!
MACH WAS DU WILST ABER ICH GEH ZU DEN
KAUFLÄUTEN! TSCHÜS!
»Als ob dich jemand nehmen würde!«, brummte Trix.
Da ihm die Botschaft nicht antwortete, verrieb er sie mit
dem Fuß. Dann fiel sein Blick auf den Sack. Der war
deutlich kleiner geworden. »Wir wollten uns doch verbrüdern!«, rief Trix, während er ihn öffnete.
Ein Huhn und ein Brot waren verschwunden.
Und natürlich der Brief mit dem Siegel des Barons.
Trix kramte in seinen Taschen. Nein, das Geld hatte
Ian nicht angerührt.
Er konnte seinem Knappen nicht einmal einen Vorwurf machen – schließlich hatte er, Trix, ja selbst gesagt,
dass er das Empfehlungsschreiben nicht bräuchte.
»Dieser Hohlkopf! Hat eben kein edles Blut!«, murmelte Trix traurig. Wenn er nur daran dachte, dass dieser
durchtriebene und überhaupt nicht edle Ian innerhalb eines
Tages sein … na gut, fast sein Freund geworden war.
Oder er war es geworden – und hatte die Freundschaft
wieder verspielt.
»Wenn ich wieder auf dem Thron bin, werde ich dich
einfangen und auspeitschen lassen!«, drohte Trix dem im
Wind raschelnden Schilf. Mit großer Mühe schob er das
Boot aus dem Schlamm zurück ins Wasser und ruderte
los.
Voller Hoffnung betrachtete er das mit Schilf und
Wollgras bestandene Ufer.
Doch kein Ian weit und breit, der reuevoll um Verzeihung für seine Flucht bat.
Schweren Herzens brachte Trix das Boot in die Strömung. Die große Stadt Dillon wartete eine Meile flussabwärts auf ihn.
3. Kapitel
I
n seiner Kindheit war Trix schon zweimal in Dillon
gewesen, das erste Mal vor zehn Jahren (von diesem
Besuch erinnerte er sich nur an den Geschmack der bunten Zuckerwatte und den dunkelhäutigen Feuerschlucker,
der das Volk auf irgendeinem Platz unterhielt), das zweite
Mal vor vier Jahren (seltsamerweise erinnerte er sich
auch hier fast nur an die vielen Süßigkeiten – und an die
verwöhnte Tiana, die von jedem adligen Jungen, der zu
Besuch kam, unterhalten werden wollte).
Jetzt war Trix jedoch ein erwachsener und ernsthafter
Mann, ein Co-Herzog in der Verbannung, der über die
Hauptstadt des Fürstentums viel gehört und gelesen hatte! Er überließ es der Strömung, das Boot langsam am
Ufer entlangzutragen, dessen Promenade mit schokoladenfarbenen Steinplatten gepflastert war. Trix betrachtete
die auf beiden Uferseiten liegende Stadt mit der seinem
Stand angemessenen Neugier.
Der Fluss zog sich zwischen braunen Hügeln dahin,
die an Karamellbonbons erinnerten. Das rechte Ufer
wirkte höchst elegant. Die Kuppeln der Kirchen überragten wie weiße Zuckerhüte die bunten Drops der anderen
Hausdächer. Hier und da bohrten sich die Türme der Magier in den Himmel, die mit bizarren Flachreliefs geschmückt waren und als Dach ein Sahnehäubchen trugen.
Nichts konnte sich jedoch mit dem Schloss des Fürsten
messen, das oben auf einem Berg thronte. Die mächtigen
Mauern und die runden Verteidigungstürme hatten die
Farbe von geschmolzenem Zucker und der riesige, bedrohliche Wehrturm aus grüngrauem Stein erinnerte an
Pistazienhalva.
Auf der linken Seite wohnten dagegen die armen Leute,
hier blieb der Blick fast nirgends hängen. Es gab nur
kleine braune Häuser, das Ganze sah aus, als habe ein
Riese karamellisierte Walnüsse zerbröckelt und über den
Hang verteilt.
Das Erstaunlichste waren jedoch die kleinen Brücken,
unter denen das Boot hindurchfuhr, die schwerelos und
durchsichtig schienen, genau wie Marmelade. Große
Zauberer hatten sie vor Jahrhunderten aus biegsamem
bunten Glas geschaffen. Sobald die aufgehende Sonne
auf die Brücken fällt, tanzen riesige farbige Lichtflecke –
rote, blaue, grüne und zitronengelbe – auf dem Wasser.
Trix meinte, seinen Magen knurren zu hören, obwohl
er doch vor dem Ablegen fast ein halbes Huhn verschlungen hatte. Er wollte etwas Süßes. Aber warum? Ob
das daran lag, dass der Großfürst Dillon, der Gründer der
Stadt und obendrein ein mächtiger Zauberer, ein, wie
man es überlieferte, ausgesprochener Süßschnabel gewesen war? Angeblich hatte er im Sterben seine Seele in die
von ihm erbaute Stadt gelegt.
Als Trix unter der zwölften und letzten Brücke hindurchfuhr, bemerkte er, dass er beinahe an der Hauptstadt
vorbeigefahren wäre. Es hätte nicht viel gefehlt und der
Fluss hätte ihn aufs offene Meer getragen – und dann
hätte er es bestimmt nicht allein gegen die Strömung zurück geschafft.
Er griff nach den Rudern, und nachdem er sich eine
Viertelstunde auf diese
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