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Lukkas Erbe

Lukkas Erbe

Titel: Lukkas Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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ein Kind, das laut singend durch die Dunkelheit läuft, um Ungeheuer und die Furcht fern zu halten.
    Plötzlich zuckte sie zusammen. «Der Kleine ist so unruhig. Fühlen Sie mal, wie er tritt. Er merkt das, wenn man Angst hat.»
    Dann begann sie endlich zu weinen. «Was mache ich, wenn Nicole stirbt? Alle werden sagen, es war meine Schuld. Hartmut bringt sich um. Er sagt immer, wenn Nicole nicht mehr da ist, will er auch nicht mehr leben.»
    «Sie wird nicht sterben», sagte ich.
    «Wissen Sie das bestimmt?»
    «Ja», sagte ich und dachte, im Krankenhaus sei Nicole Rehbach sicher. Sie hatte sehr viel Blut verloren, aber der Notarzt hatte nicht von Lebensgefahr gesprochen.

Der zweite Termin
    Am 29.   November 96 stieg Patrizia wenige Minuten vor drei Uhr am Nachmittag zum ersten Mal in Brunos BMW, weil er selbst nicht die Zeit hatte, Ben bei Miriam Wagner abzuliefern. Patrizia verschwand fast hinter dem Steuer.
    Nachdem sie gewissenhaft Spiegel und Sitz für sich eingestellt und Ben den Sicherheitsgurt umgelegt hatte, fuhren sie vom Hof. Auf dem knappen Kilometer bis zum Bungalow gab es nur einen Gefahrenpunkt, das Überqueren der Landstraße.
    Bruno hatte Ben eingeschärft, dass er während der Fahrt nicht ins Lenkrad greifen, nicht die Tür öffnen und Patrizia auch nicht anfassen durfte. Es wäre nicht unbedingt nötig gewesen, ihn an Letzeres zu erinnern. Dass Patrizia für ihn tabu war, wusste er seit dem Sommer. Mit ihr durfte er noch am Tisch in der Küche sitzen und in seinem Zimmer sein, wenn sie sein Bett machte und das kleine Duschbad wischte.
    Er wusste, wohin die Fahrt ging. Aber in der letzten Woche hatte es ihm nicht so gut gefallen bei der kleinen Maus. Sie hatte nicht seine Hand genommen, ihm nur erklärt, was sie von ihm wollte. Ganz genau wissen, was mit den schönen Mädchen geschehen war, und warum er sie begraben hatte. Dass er es getan hatte, wusste sieschon. Bruno wusste es auch. Aber niemand sprach davon, dass er dafür eingesperrt würde.
    Nur sagten wir nicht immer, was wir tun wollten. Manchmal sagten wir es so und taten dann etwas anderes. Die Erfahrung hatte er oft gemacht. Seine Mutter hatte zum Beispiel gesagt, er bekäme auch eine bunte Jacke, wenn er ihr die Jacke der Amerikanerin gebe. Und als sie den blutigen Rucksack fand, hatte sie ihm einen Kuchen und ein großes Eis versprochen, wenn er ihr zeigte, wo das Mädchen war, dem der Rucksack gehörte. Er hatte ihr das zeigen wollen, verstanden hatte sie ihn nicht. Bekommen hatte er auch nichts, stattdessen hatte seine Mutter ihm den Rücken zerschnitten. Er war verunsichert, befürchtete, dass die kleine Maus ihn auch nicht verstand und wie seine Mutter etwas tat, was ihm nicht gefiel.
    Patrizia hatte nur den Kasten mit den Karten und ein Zirkuspferd mitnehmen wollen. Zur Sicherheit hatte er noch einige Teile dazu gelegt in der Hoffnung, sich damit eher verständlich machen zu können. So musste Patrizia einen großen Karton nehmen, um alles einzupacken. Der stand nun im Kofferraum.
    Es gab noch einen kleinen Schuhkarton im Schrank in seinem Zimmer. Darin lagen die Arme, Beine, Finger und Körper der Mädchen, auch schon ein paar Gesichter, aber die waren noch nicht ganz fertig. Damit hätte er der kleinen Maus alles ganz genau zeigen können. Nur hatte er es nicht gewagt, ein paar von den Teilen aus dem Schuhkarton zu nehmen, weil Patrizia immer alles haben wollte, was er aus Holz machte.
    Alle Zirkuspferde nahm sie ihm weg, lange bevor sie fertig waren. Nie kam er dazu, die Federbüsche auf ihren Köpfen auszuarbeiten oder die Ornamente der Decken, die sie unter den Sätteln getragen hatten. Er konnte schnell arbeiten mit dem kleinen, scharfen Messer, aberfür Patrizia war er nie schnell genug. Und was er behalten wollte, musste er vor ihr verstecken.
    Jedes Mal, wenn Patrizia Wäsche in seinen Schrank räumte, befürchtete er, dass sie in den Karton schaute und ihm auch noch die Teile wegnahm. Leider gab es kein besseres Versteck in seinem Zimmer. Draußen hätte es viele gegeben, aber da durfte er nicht nach einem suchen.
    Er durfte gar nichts mehr, jede Freiheit gestrichen, nachts in einem Haus mit verschlossener Tür. Wenn er zum Bendchen laufen wollte oder zum Bruch, musste er das in seinem Kopf tun. Und in seinem Kopf war nicht mehr so viel Platz wie früher. Patrizia hatte ihn voll gestopft mit Worten. Da konnte es geschehen, dass er gerade so schön mit seiner kleinen Schwester und mit Britta Lässler spielte oder sich von

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