Lukkas Erbe
aus.
«Kannst du alleine fahren?»
«Ist ja nicht weit», meinte sie, stieg in den Van und verschwand.
Die beiden Polizisten stapften im Garten durch aufgeweichte Erde. Bisher hatten sie nicht mehr entdeckt als fünf Bonbonpapierchen bei der Garage. Sie lagen eingetütet auf dem Tisch im Wohnzimmer. Hustenbonbons, ich kannte die Sorte.
Die Papierchen waren glatt gezogen und durchfeuchtet, trotzdem war die Rille gut zu erkennen, die ein Fingernagel hinterlassen hatte. So vertrieb sich jemand die Zeit, der gezwungen war, untätig herumzustehen. Der Stunde um Stunde nichts weiter tun konnte, als ein hell erleuchtetes Wohnzimmer voller Menschen zu beobachten, und darauf wartete, dass sie endlich gingen und er näher heran konnte.
Die Tatwaffe hatten sie bisher auch draußen nicht gefunden. Aber eine Rasierklinge. So ein winziges Ding im Gartendreck zu entdecken war Präzisionsarbeit. Dirk rief den beiden Polizisten zu, wonach sie Ausschau halten sollten, dann zählte er weiter die bisherigen Erkenntnisse auf.
Die Spurensicherung in der Wohnung war abgeschlossen. Sie hatten Unmengen von Fingerabdrücken gesichert, die meisten im Wohnzimmer und im Bad. Zum Vergleich brauchten wir nun die Abdrücke sämtlicher Geburtstagsgäste. Damit wollte Dirk warten, denn wenn sich sein Verdacht gegen Hartmut Rehbach bestätigte, war es überflüssig. Dirk hielt immer noch daran fest, obwohl ihm inzwischen jemand energisch widersprochen hatte.
Vor gut einer Stunde war Walter Hambloch am Tatort erschienen, einer seiner Kollegen hatte ihn angerufen. Von Hambloch hatte Dirk gehört, dass Hartmut Rehbach an diesem Morgen zuerst zum Arzt wollte. Die telefonischeNachfrage hatte jedoch ergeben, dass Nicoles Mann dort nicht aufgetaucht war. Im Computerladen ging niemand ans Telefon. Walter Hambloch war aufgebrochen, seinen Freund zu suchen, kurz bevor ich zurückkam.
«Hambloch hält es für ausgeschlossen», sagte Dirk. «Er meinte, Rehbach wäre froh, wenn er ohne Hilfe von einem Zimmer ins andere käme. Seine Frau niederschlagen und aufs Bett schleifen hätte er unmöglich schaffen können. Aber in dem engen Badezimmer sehe ich durchaus Möglichkeiten. Wenn ihm auch was zugestoßen wäre, müsste er ja hier sein.»
Walter Hambloch hatte auch Nicole Rehbachs Schlüsselmäppchen entdeckt – in der Tasche ihres hellen Trenchcoats. Der Mantel hing an dem Haken hinter der Flurtür. Wir hatten ihn übersehen, das hätte nicht passieren dürfen, doch wenn man die Tür öffnete, verdeckte sie den Haken. In dem Mäppchen befanden sich ein Auto- und vier Türschlüssel.
Die Haustür an der Bachstraße und die Terrassentür hatte Dirk schon zugeordnet. Von den beiden verbliebenen musste einer zum Schwingtor der Garage gehören. Dirk wollte es gerade ausprobieren, als ich zurückkam.
Er schaute mich an, als erwarte er, etwas mehr zu hören als nur das, was ich im Krankenhaus erfahren hatte. Zu diesem Zeitpunkt wusste er schon, dass ich im März 96 mit Ben nicht bloß einen Zeugen aus der Landesklinik geholt und im Dorf gelassen hatte, sondern Lukkas Totengräber. Walter Hambloch hatte ihn darüber informiert, doch davon sprach Dirk nicht. Er bot mir die letzte Chance zur Offenheit unter Kollegen, und ich merkte es nicht.
In einem schmalen Blumenbeet unter dem Schlafzimmerfenster befand sich eine Trittspur, offenbar schon etwas älter und nicht sehr deutlich. Trotzdem hatte Dirkeinen Gipsabdruck machen lassen – wegen der Bonbonpapierchen. Walter Hambloch hatte erklärt, dass sich in der Nacht möglicherweise jemand im Garten oder bei der Garage aufgehalten hatte.
«Vermutlich dein spezieller Freund», meinte Dirk mit einem sonderbaren Grinsen, er wartete immer noch auf eine freiwillige Erklärung. «Er ist seit geraumer Zeit wieder nachts unterwegs.» Und dann hörte ich endlich, dass Ben seine Mutter verloren hatte und seitdem bei Bruno Kleu lebte.
Das Todesurteil
Als ich begann, nach ihm zu fragen und zu suchen, hieß es zuerst, es gebe nichts von Bedeutung zu sagen. Er habe bei Bruno Kleu ein geordnetes Leben geführt, alles bekommen, was er brauchte, sogar noch eine Menge gelernt. Seine Stunden im Bungalow erwähnte niemand. Kein Mensch war bereit, freiwillig über Miriam Wagner zu sprechen.
Sie hatte sich übernommen mit ihrer Aufgabe, wusste es schon nach der dritten Stunde mit ihm und konnte es trotzdem nicht beenden. Wenn sein nächster Termin anstand, wurde sie fast verrückt, wusste beim besten Willen nicht, was sie von ihm
Weitere Kostenlose Bücher