Lukkas Erbe
Zimmer, um ihr zu beweisen, wie sehr er sie liebte. Ben ging ebenfalls nach oben, holte sein Handy, ging damit noch kurz zu Heiko, ließ es ihn einschalten und den Pincode eingeben. Heiko tat ihm den Gefallen, ohne sich etwas dabei zu denken. Er achtete auch nicht darauf, wo Ben anschließend hinging.
Als Renate Kleu mit ihrem Freund und drei Koffern wieder nach unten kam, war niemand mehr da. Bens Lederjacke hing am Garderobenhaken, das sah Renate, als sie ihren Mantel nahm. Aber sie hatte Ben noch in sein Zimmer gehen sehen und nahm an, er sei dort, um nach dem Tohuwabohu etwas Ruhe zu finden. Noch einmal nach ihm zu schauen, kam ihr nicht in den Sinn. Sie wollte sich die Sache nicht schwerer machen als nötig.
15. Oktober 1997
Auf den fünfzig Metern zur Garage versuchte ich jeden Gedanken an Ben auszuklammern. Es gelang mir nicht. Dirk Schumann wollte wissen, ob ich nur deshalb sofort nach einem Hund verlangt hätte, als ich etwas von verschwundenen Frauen hörte, weil ich unweigerlich sofort an Ben hätte denken müssen.
«Nein», sagte ich.
Es war wirklich nicht so, dass ich Ben verdächtigt hätte. Wie hätte ich das tun können? Ich hatte ihn zurückgebracht. Ich wollte nur wissen, dass es ihm gut ging. Ich wollte ihn in Sicherheit wissen, darum ging es. Dirk lachte kurz und keineswegs fröhlich.
Er war zwei Schritte vor mir, erreichte die Garage, probierte die beiden verbliebenen Schlüssel aus und spekulierte dabei noch kurz, ob der vierte Türschlüssel in Nicole Rehbachs Mäppchen zum Haus oder zur Wohnung eines Liebhabers gehörte. Dann drückte er das Tor hoch. Und wir standen vor Lukkas Mercedes, sogar das Kennzeichen war noch das alte. Es war wie ein Schlag ins Gesicht.
Auch Dirk war verblüfft. «Wie kommt denn Lukkas Auto hierher?» Dann drängte er sich an mir vorbei. Ich sah nur das Blut.
Dirk riss die Fahrertür auf. Hartmut Rehbach fiel ihm mit dem Oberkörper entgegen, nackt bis auf die Unterwäsche, blutüberströmt. Bei ihm waren es mehrere Schnitte auf der linken Halsseite. Probeschnitte sagen die Gerichtsmediziner dazu, typisch für einen Suizid. Ein Schnitt hatte die Schlagader durchtrennt.
Von dem Moment an schien alles klar – soweit es Nicole Rehbach betraf. Ein Mann, der keiner mehr war, eine schöne, junge Frau, in der sechsten Woche schwanger, und Patrizias Hinweis, dass ihr Bruder nicht mehr leben wolle, wenn Nicole nicht mehr da sei. Dirk machte keinen Hehl aus seiner Erleichterung. Mit Rechthaberei oder Triumph hatte es nichts zu tun, es war ein gelöster Fall. Und die Lösung gestattete es ihm, ebenfalls zu schweigen, nicht eine Kollegin zu denunzieren, mit der er etliche Jahre gut zusammengearbeitet hatte.
Ein Ehedrama, Motive waren vorhanden. Und ein Fremdtäter hätte sich nicht die Mühe gemacht, Hartmut Rehbach halb nackt fünfzig Meter weit durch den Garten zu schieben und ins Auto zu setzen. Er hätte ihn in der Wohnung getötet und dort gelassen. Ein Mann in einer emotionalen Ausnahmesituation dagegen, der gerade seine Frau zerschnitten hat, schafft es nicht, sich nebensein Opfer zu legen, er flieht. Man kennt dieses Verhalten von Beziehungstätern. Sie suchen ein stilles Plätzchen und setzen ihrem Leben dort ein Ende. So sah Dirk Schumann es.
Hartmut Rehbachs Schlagader war ohne Zweifel erst im Wagen durchtrennt worden. Auf dem Garagenboden war nicht der kleinste Blutfleck. Zwischen seinen nackten Beinen lag ein Ring mit vier Schlüsseln und einem kleinen Anhänger. Hinter dem Fahrersitz stand zusammengeklappt der Rollstuhl. Die Beinprothese und die beiden Krücken lagen im Wagenfond. An einer davon waren mit bloßem Auge Blutspuren zu erkennen.
Er musste seit Stunden tot sein, die Leichenstarre war schon stark ausgeprägt. Dirk setzte ihn zurück in den Wagen, verständigte die Staatsanwaltschaft und forderte alles Notwendige an, Gerichtsmediziner, Bestattungsunternehmer, einen Abschleppwagen für den Mercedes.
Bis zu deren Eintreffen konnte niemand viel tun. Die beiden Polizisten standen ebenfalls vor der Garage. Einer sagte: «Walter dreht durch, wenn er das sieht. Er geht für seinen Freund durchs Feuer. Na, jetzt muss man wohl sagen, er ging.»
Walter Hamblochs Auto näherte sich etwa zehn Minuten später auf dem Weg und hielt an. Er stieg aus, kam heran, sagte noch, er habe im Computerladen niemanden angetroffen. Dann sah er das offene Schwingtor und seinen Freund hinter dem Steuer. Ehe ihn jemand daran hindern konnte, stürzte er in die Garage,
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