Lukkas Erbe
riss den Leichnam wieder mit dem Oberkörper aus dem Auto, umklammerte ihn mit beiden Armen und schrie: «Nein! Nein! Nein! Nein!» Ich weiß nicht wie oft, nur dieses Wort.
Dirk war mit zwei Riesenschritten bei ihm. Hamblochs Kollegen eilten ihm zu Hilfe. Doch selbst zu dritt gelanges ihnen nicht, Walter Hambloch von der Leiche wegzubekommen. So viel Platz war nicht in der Garage, sie behinderten sich nur gegenseitig.
Walter Hambloch kämpfte wie ein Stier mit gesenktem Kopf. Es fehlte nicht viel und er hätte einem seiner Kollegen die Waffe aus dem Holster gerissen. Erst als Dirk ihn mit einem Kinnhaken vorübergehend außer Gefecht setzte, gelang es, ihn zu bändigen.
Die beiden Polizisten brachten ihn wieder ins Freie. Dort riss er sich los, schlug mit den Fäusten gegen die Mauer, presste die Stirn dagegen. «Warum hat er das getan?», schrie er. «Ich versteh’s nicht. Er war doch in Ordnung gestern Abend, hatte nur Schmerzen, aber die hat er seit Wochen.»
Seine Meinung hatte Walter Hambloch offenbar geändert. Auch er schien nicht zu bezweifeln, dass Rehbach der Täter war. Seine Kollegen sprachen beruhigend auf ihn ein. Dirk verlangte, dass sie ihn nach Hause brachten.
«Ich geh hier nicht weg», sagte Walter Hambloch. «Ich bin ruhig und stehe keinem im Weg.»
Das tat er wirklich nicht. Bis der Tross anrückte, hielt er sich in gebührender Entfernung vom offenen Schwingtor, schaute nur mit starrer Miene in die Garage und schüttelte manchmal den Kopf.
Der Gerichtsmediziner brauchte nicht lange für eine erste Untersuchung. Der Tod war zwischen sieben und acht Uhr morgens eingetreten. Das deckte sich mit den Zeitangaben, die der Arzt im Krankenhaus zu Nicoles Verletzungen gemacht hatte.
Walter Hambloch machte einen Schritt nach vorne, als sein Freund in den Notsarg gelegt wurde. Es sah aus, als wolle er ihn noch einmal berühren, aber er hielt sich zurück, sagte nur: «Du blöder Kerl, das musste nicht sein. Ich war immer für dich da.»
Der Sarg wurde verladen. Das Fahrzeug des Bestattungsinstituts fuhr als Erstes wieder ab, der Gerichtsmediziner hinterher. Ein Mann von der Spurensicherung untersuchte kurz den Innenraum des Mercedes und entdeckte zwischen den Pedalen ein Konfektionsmesser, blutbesudelt. Im Sideboard hatten sie zwei weitere von diesen Messerchen entdeckt. Dass es ursprünglich fünf Messer gewesen waren, wusste von uns noch niemand. Es schien wirklich alles klar. Ich wünschte mir nur, ich wäre erleichtert gewesen.
Der Abschleppwagen nahm den Mercedes an den Haken. Die Spurensicherung packte zusammen. Wir waren fertig in der Wohnung, mussten nur Patrizia noch verständigen.
Sie war allein, als wir auf den Hof kamen. Bruno hatte ihr befohlen, sich nicht von der Stelle zu rühren. Sie hatte viel gekocht, noch mehr geweint und war erleichtert, ein bisschen Gesellschaft zu bekommen. Ich konnte ihr nicht sagen, dass ihr Bruder tot war. Sie war doch fast noch ein Kind mit ihrem dicken Bauch, dem verweinten Gesicht, den Töpfen und Pfannen auf dem Herd.
«Sie haben sicher Hunger», meinte sie. «Sie können gerne was haben. Die Männer kommen erst heute Abend. Das verbrutzelt mir ja alles.»
Es gab Koteletts, Kartoffelrösti und Bohnengemüse. Sie deckte den Tisch, verteilte den Inhalt aus Töpfen und Pfannen gerecht auf drei Teller. Dirk übernahm es, ihr behutsam ein paar Fragen zur Ehe ihres Bruders zu stellen. Aber er hörte nur, was sie mir bereits erzählt hatte. Wie schön Nicole und wie stolz Hartmut bei ihrer Hochzeit gewesen sei.
Patrizia vermutete, wir hätten inzwischen mit ihrem Bruder gesprochen. «Was hat Hartmut denn gesagt?»
«Nichts», sagte Dirk und erklärte mit der üblichenAnteilnahme, wen wir in der Garage gefunden hatten. Ich fühlte mich so entsetzlich feige.
Patrizia reagierte erst nach mehr als einer Minute auf die Nachricht. «Jetzt weiß ich gar nicht genau, wo meine Eltern sind. Mallorca, glaube ich, oder Menorca. Hartmut hat sich die Adresse aufgeschrieben.»
Sie löste sorgfältig den Knochen von ihrem Kotelett und schnitt das Fleisch in Stücke, bis nichts mehr da war, woran sie das Messer hätte ansetzen können. Dann machte sie sich mit der gleichen Akribie über die Rösti und das Bohnengemüse her, schrie unvermittelt auf: «Warum hat er das gemacht?»
Sie legte eine Hand vor die zuckenden Lippen, wiederholte: «Warum hat er das gemacht? Das ist ja so gemein. Die arme Nicole. Sie hätte ihn nie allein gelassen. Sie hat immer gesagt, dass
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