Lukkas Erbe
gesessen, war endlich losgefahren. Und Maria hatte zur Sicherheit den Telefonhörer neben den Apparat gelegt, damit Bruno sie nicht auf diese Weise belästigte.
Als Walter Hambloch kurz darauf auf Bruno Kleus Hof eintraf, waren dort alle – mit Ausnahme von Bruno – versammelt. Sogar Anita, Bens älteste Schwester. Anita war zu Besuch bei Bärbel gewesen, wo Dieter ebenfalls angerufen hatte. Nun drängte Anita energisch darauf, die Polizei zu verständigen.
«Die Wache zu alarmieren, halte ich nicht für sinnvoll», sagte Walter Hambloch. «Meine Kollegen können auch nicht mehr tun, als draußen die Augen offen halten.» Er schlug vor, dass alle noch einmal aufbrachen. Patrizia sollte mit Anita im Haus bleiben für den Fall, dass Ben doch noch kam.
Nachdem die Männer wieder aufgebrochen waren, erzählte Patrizia ausführlich, wie es zu dem Debakel gekommen war und welchen Stellenwert sie und Ben für Bruno Kleu hatten. «Das ist so gemein. Ich sprech nie wieder mit ihm.»
Anita Schlösser hätte gerne einmal mit Bruno gesprochen und fand es bedauerlich, dass er sein Handy nicht dabei hatte. Ihr fiel ein, dass auch ihr Bruder einmal über ein Funktelefon verfügt hatte. «Hat er das noch?»
Patrizia lief nach oben und stellte fest, dass es nicht in seinem Zimmer lag.
«Kann er richtig damit umgehen?», fragte Anita.
«Wir haben mal mit ihm geübt, was er tun muss, wenn es klingelt», antwortete Patrizia. «Aber das ist lange her. Ich weiß nicht, ob er sich das gemerkt hat.»
«Das werden wir feststellen», sagte Anita, ließ sich die Nummer geben, reichte dann jedoch an Patrizia weiter. «Das machst wohl besser du.»
Das Freizeichen ertönte dreimal, viermal, fünfmal. Anita meinte bereits, es habe wohl keinen Sinn, da verstummte der Ton.
«Bist du dran, Ben?», fragte Patrizia. In der Leitung blieb es still. «Wenn du mich hörst, sag etwas. Sag Fein.»
«Fein.»
«Wo bist du?» Während Patrizia noch überlegte, wie sie ihn zu einer Ortsangabe veranlassen könnte, sagte er: «Kumpel weh.»
«Ich glaube, er ist bei Dieters Vater», flüsterte Patrizia.
Anita vermutete, Bruno Kleu habe ihren Bruder irgendwo unterwegs aufgelesen. «Und dafür geraten wir alle in Panik. Er soll Bruno das Telefon geben.» Patrizia richtete ihm das aus, aber es funktionierte nicht. Entweder wollte oder konnte Bruno das Handy nicht nehmen.
«Ist Bruno da?»
«Kumpel weh», sagte er wieder.
Viel Sinn hatte es nicht, weil er Fragen nur mit Nicken oder Kopfschütteln beantwortete und sich auf diese Weise nicht einmal klären ließ, ob Bruno tatsächlich bei ihm war. Patrizia lockte und schmeichelte mit allen möglichen Versprechen, er solle zu ihr kommen, um ihr zu zeigen, wo Bruno wäre. Er sagte immer nur: «Kumpel weh.»
Dann hörte Patrizia Motorengeräusche und tippte auf die Landstraße. Anita wollte nach draußen, um die Straße abzufahren, da krachte und schepperte es aus dem Hörer, dass Patrizia erschreckt zusammenzuckte. Benschrie auf, aber nur kurz. Dann sagte er wieder: «Kumpel weh.»
Patrizia versuchte noch einmal, Ben zum Heimkommen zu bewegen. Und er kam tatsächlich. Es vergingen nur knappe zehn Minuten, da tauchte er auf, steif vor Kälte.
Patrizia verständigte Walter Hambloch und Winfried von Burg. Winfried fuhr als Erster auf den Hof, lud Ben in seinen Wagen, er fuhr einen geräumigen alten Volvo. «Zeig mir, wo ich fahren soll.»
Ben dirigierte ihn mit Handzeichen zur Landstraße hinunter, weiter geradeaus, beim Bungalow nach links – bis zur Bresche. Schon einige Meter vorher zeigte er zur Seite. «Kumpel weh.»
Dem Anschein nach hatte Bruno mit Vollgas auf den Birnbaum zugehalten. Er war ohne Bewusstsein, das rechte Bein gebrochen. Der Airbag hatte das Schlimmste verhindert. Aber ohne rasche Hilfe wäre er an einer Milzruptur verblutet.
Während Bruno auf dem Weg ins Krankenhaus war, ließ Patrizia im großen Badezimmer heißes Wasser in die Wanne laufen, damit Ben wieder warm wurde. Anita wollte ihm beim Ausziehen helfen. Er kannte seine älteste Schwester nicht mehr, hatte ein achtzehnjähriges, pummeliges Mädchen in Erinnerung und stand einer dreiunddreißigjährigen Frau gegenüber, die sich hauptsächlich von Mineralwasser ernährte.
«Finger weg», sagte er und schlug ihre Hände beiseite.
Also half Patrizia ihm.
Bruno verbrachte etliche Wochen im Lohberger Krankenhaus. Reifenspuren auf dem der Bresche gegenüber liegenden Acker bewiesen, dass er ziemlich weit ausgeholt
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