Lukkas Erbe
verschwand. Aber Nicole konnte sich nicht aufraffen, Miriam zuzustimmen. Sie erkundigte sich im Seniorenheim, ob man sie eventuell wieder einstellte. Man hatte längst einen Ersatz für sie gefunden. Die Hoffnung auf ein eigenes Kind wurde mit jedem Tag kleiner. Es tat weh, weil nun auch Patrizia schwanger war und Andreas Lässler sich bereit erklärt hatte, ihr zu helfen.
Hartmut war entsetzt von Miriams Absicht. So viel verdiente er im Computerladen noch nicht. Der Umsatz hatte sich zwar erhöht, seit er täglich im Laden war. Winfried von Burg bezahlte ihn so, wie die Kasse es erlaubte. «Sag ihr, das kann sie nicht machen», verlangte Hartmut. «Sie hat eine Verpflichtung dir gegenüber.»
Nur Walter Hambloch fand, es sei die beste Lösung für alle, wenn Miriam ihre Sachen packte und verschwand. «Du findest schon eine neue Stelle, Nicole. Fachkräfte werden immer gebraucht. Da musst du dich halt woanders bewerben. Es gibt ja noch mehr Altenheime als das in Lohberg.»
«Und wie soll sie da hinkommen ohne Auto?», fragte Hartmut. «Das Auto brauche ich.»
«Kannst du eigentlich noch an was anderes denken als an dich?», wollte Walter wissen.
Die Wende kam durch Achim Lässler. Mit ihrer Provokation hatte Miriam das Gegenteil erreicht. Zweimal rief er danach im Bungalow an und fragte, ob sie vielleicht mal in Ruhe über alles reden könnten. Was er sich davon versprach oder wie er auf den Gedanken kam, ausgerechnet bei ihr Hilfe und einen Rat zu suchen, verstand Miriam nicht. Sie war eine Frau mit so vielen Macken, dass sie an sich selber verzweifelte, aber anderen helfen konnte sie offenbar. Es war eine ganz neue Erfahrung.
Nicole verlegte die Einkäufe nun auf die Stunden, in denen Achim Lässler im Bungalow erschien. Sie wollte ihm nicht begegnen, aber er blieb auch nie so lange wie Ben. Bei Achim hielt Miriam sich exakt an die Zeit, die eine Therapiestunde normalerweise dauerte, fünfundvierzig Minuten. Da musste Nicole in Lohberg nur ein bisschen trödeln.
An einem Nachmittag Ende Mai kam sie aus Lohberg zurück. Miriam saß auf der Terrasse. Sie tranken wie üblich noch einen Kaffee, und plötzlich sagte Miriam: «Ich weiß nicht mehr, ob ich gehen oder bleiben will. Sag mir, was ich tun soll.»
Nicole fühlte sich in dem Moment erleichtert und sehr egoistisch, weil sie als Einzige einen Vorteil hatte, wenn Miriam blieb.
«Kauf dir endlich ein richtiges Bett», schlug Nicole vor. «Solange du auf der Couch schläfst, bist du Lukkas Gast. Vielleicht liegt es daran, dass er immer noch so viel Einfluss auf dich hat. Wenn man nur irgendwo zu Besuch ist, muss man sich unterordnen.»
«Psychologie für den Hausgebrauch», meinte Miriam und lächelte. «Aber vielleicht hast du gar nicht so Unrecht. Kaufen wir ein Bett und beauftragen ein paar Handwerker, die Bar herauszureißen. Auf die Bar war er immer besonders stolz, und ich habe mich immer gefragt, wozu er sie braucht. Es besuchte ihn doch niemand, und er selbst trank nicht.»
Schon am nächsten Tag bestellte Miriam die Handwerker, ließ das Arbeitszimmer räumen und neu tapezieren. Die wertvollen Möbelstücke verschenkte sie. Für Lukkas Schlafzimmer bestellte sie einen Container, in dem auch die verspiegelte Hausbar landen sollte.
Während die Männer damit beschäftigt waren, die Bar herauszureißen, und einige Videobänder fanden, fuhr Miriam mit Nicole herum, besuchte ein paar Möbelhäuser. Anschließend kehrten sie nach langer Zeit wieder einmal beim Italiener in Lohberg ein. Es war spät, als sie zurückkamen, Miriam setzte Nicole bei der Garage ab und sagte: «Morgen werden wir eine Menge Arbeit haben. Es hat bestimmt viel Dreck gegeben.»
Nicole kam am nächsten Morgen zur gewohnten Zeit. Im Vorgarten stand der Container voller Schutt und Spiegelscherben. Als sie die Diele betrat, dachte sie im ersten Moment, Miriam hätte Besuch. Im Wohnzimmer hingen dicke Rauchschwaden in der Luft. Zu sehen war niemand. Die Sitzgruppe stand nicht in Blickrichtung der Dielentür. Aber Nicole hörte einen Mann sprechen. «Du hast die Augen deiner Mutter.»
Er hatte eine angenehm dunkle Stimme mit einemHauch von Schwermut und Sehnsucht, ein Klang, der Nicole ganz eigenartig berührte. Sie war nicht sicher, ob sie stören durfte. Der Mann im Wohnzimmer konnte eigentlich nur Miriams Vater sein. Nur hatten Miriam und der Holzwurm keinen Kontakt mehr. Und irgendwie war Nicole die Stimme auch vertraut, sie wusste nur nicht, wo sie sie einordnen
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