Lukkas Erbe
sollte.
«Gott ist mein Zeuge, ich habe sie geliebt», sagte die sanfte, dunkle Männerstimme.
Von Miriam kam kein Laut. Aber sie musste gehört haben, dass die Haustür geöffnet und Nicole hereingekommen war.
«Ich hätte alles getan für sie», sagte der Mann. «Und sie legte sich für diesen Rüpel ins Unkraut, lachte mich aus, nannte mich einen geilen, alten Bock. Das war ein Schmerz, den ich dir nicht beschreiben kann. Ungefähr so.»
Aus dem Wohnzimmer kam ein Ton wie ein erstickter Schluchzer. Nicole ging endlich die letzten Schritte bis zur Tür und sah Miriam allein in einem Sessel sitzen. Sie trug noch das Kleid, in dem sie gestern Möbel ausgesucht und beim Italiener gesessen hatte. Ihr aufwendiges Make-up war völlig zerlaufen. Sie sah aus, als hätte sie stundenlang geweint.
Das Deckenlicht brannte. Es fiel kaum auf, weil der Raum von Sonne durchflutet war. Auf dem Beistelltisch neben Miriams Sessel stand ein überquellender Aschenbecher. Auf dem Fußboden lagen einige Videokassetten. Die Männerstimme kam aus dem Fernseher. Der Schrank war offen, das Gerät ein Stück vorgezogen. Von der Dielentür aus sah Nicole nicht mehr als die blau flimmernde Kante vom Bildschirm.
«Komm ruhig herein und schau es dir an», sagte Miriam und wischte mit einem Handrücken durch das verweinte Gesicht. «Es war genau so, wie Ben es gezeigt hat.Sie sind beide über die Terrasse gekommen, Svenja Krahl und Marlene Jensen. Als sie vor seiner Tür auftauchte, konnte er sein Glück gar nicht fassen.»
«Ich will mir nichts anschauen», sagte Nicole.
Miriam nahm die Fernbedienung, drückte eine Taste, die blau flimmernde Kante wurde dunkel. Dann erhob sie sich, ging zu den Terrassentüren und öffnete beide. In dichten Schwaden zog der Rauch ins Freie.
«Mach Frühstück», verlangte Miriam. «Den Kaffee sehr stark. Ich habe scheußliche Kopfschmerzen, zu viel geraucht, zu viel geheult. Es war kein Alptraum. Was ich damals gesehen habe, ist auch noch da. Und dieses elende Schwein redet mir ein, ich sei schlecht erzogen gewesen. All die Jahre habe ich geglaubt, dass meine Mutter sterben musste, weil ich unerlaubt in seinen Schrank gegriffen hatte.»
Miriam kam zum Tisch, nahm sich eine Zigarette, zündete sie an und ging wieder zu den offenen Türen.
«Du musst das der Polizei geben», sagte Nicole.
Miriam schüttelte den Kopf. «Sie hatten ihre Chance. Jetzt habe ich meine. Er hat etwas gesagt an einer Stelle. Ich muss mir das noch einmal in Ruhe anschauen.»
«So was schaut man sich nicht in Ruhe an», begehrte Nicole auf. «Das ist krank.»
«Ich bin tot, Herzchen.» Miriam ging zum Videorecorder und nahm die Kassette aus dem Gerät. «Ich bin tot, seit ich so etwas zum ersten Mal gesehen und gehört habe. Du hast die Augen deiner Mutter! Weißt du, wie oft er das zu mir gesagt hat? Genau so hat er immer mit mir gesprochen, so weich, so sanft, so verletzt, dass ich jedes Mal das Bedürfnis hatte, ihn in die Arme zu nehmen und zu trösten. Weißt du, wie oft ich ihn umarmt habe? Und dabei wusste ich es, ich wusste es in dem Moment, als er sich im Krankenhaus über mich beugte.Es waren nicht allein die Bilder, es war seine Stimme. Ich hatte sie noch im Ohr, als ich aufwachte. Und dann dachte ich, ich bilde mir das nur ein. Er war doch der Einzige, der Zeit für mich hatte. Meine Mutter hat einmal gesagt: Heinz Lukka nimmt sich Zeit für Menschen. Ein wahres Wort. Er nahm sich sogar anderthalb Stunden Zeit, zu töten. Andere machen das in fünf Sekunden.»
Miriam legte die Kassette auf den Fernseher, sammelte auch die vom Boden auf und legte sie auf den Tisch. Dabei fragte sie: «Weißt du, ob jemand im Ort Bello genannt wird?»
Nicole schüttelte den Kopf.
«Aber Lukka hat von einem gesprochen», erklärte Miriam. «Er hat Svenja Krahl gefragt, ob Bello hinter ihr her war. Ich bin sicher, er hat Bello gesagt und nicht Ben.»
«Ich kenne wirklich keinen mit diesem Spitznamen», sagte Nicole. Bello, so nannte man einen Hund. Und Bärbel nannte Walter Hambloch oft Waldi. Aber das zu erwähnen, kam Nicole nicht in den Sinn. Sie machte sich große Sorgen, weil Miriam nun wieder beim Thema war und mit den Videos wohl auch so schnell nicht wieder auf andere Gedanken kommen würde.
Miriam sprach weiter: «Svenja Krahl ist im Bendchen vergewaltigt worden. Sie kam hierher, weil sie sich Hilfe von Lukka erhoffte. Nur kam sie in einem sehr ungünstigen Moment, er schaute sich gerade ein Urlaubsvideo an. Deshalb musste
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