Lukkas Erbe
auch, wie Bruno auf dem Traktor saß und Ben etwas erklärte. Was er sagte, war auf die Entfernung nicht zu verstehen. Es sah aus, als versuche er, Ben die Furcht vor den Maschinen zu nehmen. Natürlich vergebens. Ben hielt respektvoll Abstand, hörte nur mit ernster Miene zu und schüttelte manchmal den Kopf.
Trude fragte sich oft, was in ihrem Sohn vorgehen mochte. Ob es vielleicht so war, wie Bruno sagte: «Weißt du, was ich früher gedacht habe, wenn mein Alter mir mal wieder das Fell gegerbt hatte? Rutsch mir den Buckel runter, blöder Hund. Und irgendwann hab ich dann gesagt: ‹Sieh dich vor, beim nächsten Mal schlage ich zurück.› Jetzt stell dir mal vor, er hätte Jakob eine reingehauen. Statt sich verprügeln zu lassen, hätte er Jakob zu Lukkas Bungalow schleifen sollen. Da hätte Jakob sich austoben können. Darf man gar nicht drüber nachdenken.»
Dann klopfte Bruno ihm auf die Schulter. «Hab ich Recht, Kumpel? Mir brauchst du nichts zu erzählen. Ich weiß, wie es ist, wenn man’s den anderen nicht recht machen kann, überall scheel angeguckt und immer gleich zum Sündenbock gestempelt wird.»
Bruno Kleu war der Erste, der wieder ein flüchtiges Lächeln auf Bens Gesicht brachte, wenn er am Abend erschien. Er hatte auch keine Schwierigkeiten, ihn zu einer Autofahrt zu überreden. Trude fuhr natürlich mit. Ben sollte in Lohberg neu eingekleidet werden, weil Bruno meinte, die Zeit der karierten Hemden, der Jogginghosen mit Gummibund und der Gummistiefel sei vorbei.
«Mir scheint, er fängt an, für sich selbst zu denken», sagte Bruno. «Da muss er nicht mehr wie ein Idiot durch die Gegend laufen. Ich lauf so jedenfalls nicht mit ihm rum.»
Bruno suchte ein Dutzend T-Shirts , Polohemden, Pullover, zwei gute Hosen und drei Jeans, eine Lederjacke und ein Jackett, ein Paar Slipper und ein Paar Sportschuhe mit Klettverschluss für ihn aus. Damit kam er zurecht. Mit Schnürsenkeln und Knöpfen an einem Hemd war er überfordert. Eine Schleife binden konnte er nicht. Und er brachte nie den richtigen Knopf durch das richtige Loch. Mal gab es oben und unten Zipfel, mal hatte er so geknöpft, dass es in der Mitte beulte. Die Reihenfolge kümmerte ihn nicht.
Wenn er sich bloß etwas über den Kopf ziehen musste, sah es ordentlicher aus. Die Lederjacke hatte einen Reißverschluss, da fummelte er zwar eine Weile, bis er ihn eingehakt hatte, aber er schaffte es, auch bei den Hosen, da brauchte er nur hochziehen und einen Knopf schließen. Das Jackett konnte er offen tragen, auch die drei Knöpfe an den Polohemden musste nicht unbedingt zu sein. Richtig elegant sah er aus bei der Anprobe.
Bruno klopfte ihm auf die Schulter, wie er es neuerdings oft tat, und sagte: «So lassen wir dich besser nicht allein auf die Straße, Kumpel, sonst hast du einen Schwarm Weiber auf den Fersen und weißt nicht, was du mit ihnen anfangen sollst.»
Außerdem kaufte Bruno noch ein Handy. Jakob hatte mehrfach anklingen lassen, dass er vielleicht besser zu Haus bleiben sollte in den nächsten Wochen. Das Strafverfahren gegen Trude war nach dem Leichenfund eröffnet worden, man musste bald mit Post von den Justizbehörden rechnen. Wenn Trude sich aufregte, Schwierigkeiten mit ihrem Herzen bekam, wie sollte Ben seiner Mutter helfen?
Dass Jakob zu Hause blieb und vielleicht doch wieder eine neue Vertrauensbasis schuf, passte Bruno Kleu nicht ins Konzept. In dem Fall bestand nicht die Aussicht,Ben für immer auf seinen eigenen Hof zu holen, wie Bruno es tun wollte. Es reizte ihn einfach, Lukkas Henker an seiner Seite zu haben. Aber das war es nicht allein. Es musste auch möglich sein, ihn zu einer sinnvollen Arbeit zu bewegen. Ben den Umgang mit dem Telefon in der Diele zu erklären, hielt Bruno auch nicht für sinnvoll. Ben hätte vielleicht noch begriffen, welche Tasten er in einem Notfall drücken müsste. Nur hätte man am anderen Ende der Leitung kaum verstanden, welcher Notfall eingetreten war und wohin man fahren sollte.
Mit dem Handy war es simpler. Bruno hatte immer eins in der Tasche. Er programmierte die Nummer ein, mehr als eine Taste brauchte Ben nicht zu drücken.
Ganz ging Brunos Rechnung allerdings nicht auf. Auch mit dem Handy ließ Ben sich höchstens eine Viertelstunde von Trudes Seite locken. Das reichte für ein bisschen Training in der Scheune. Sobald Bruno versuchte, mit ihm alleine den Hof zu verlassen, sperrte Ben sich. Ohne Trude wollte er nicht fort, dass seine Mutter mit ihm sprechen konnte, wenn
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